Der Zuckerkreml
nicht mehr nur Öl-, sondern auch Benzinprobleme hatte.
Zurück in seinem Arbeitszimmer, rief er Hauptmann
Schmulewitsch an, der kam herüber, und bis 17.44 Uhr saßen Sewastjanow und
Schmulewitsch, dieser näselnde, glatzköpfige Langweiler, nun beieinander und
besprachen den leidigen Fall mit der Kuh. Vor sechzehn Monaten waren in Moskau sechs
Mitglieder einer mystischen antirussischenSekte mit Namen Jaroswet verhaftet worden. Sie hatten die
Umrisse Russlands auf eine weiße Kuh übertragen und an ihr ein magisches Ritual
vollführt, bei dem sie den Tierkörper zerlegten, die Einzelteile in die entlegensten
Gebiete des Russländischen Staates transportierten und Ausländer damit verköstigten.
Die Keulen zum Beispiel wurden in den Fernen Osten verbracht, daselbst gesotten und
Umsiedlern aus Japan zu essen gegeben, die Bauchlappen nach Barnaul geliefert, zu
Pelmeni verknetet und den Chinesen kredenzt, die Brust kam an eine Borschtschsuppe
und auf die Teller von achtzehn kleinrussischen Kleinhändlern in Belgorod,
weißrussischen Tagelöhnern in Roslawl wurden Klopse aus dem Fleisch der Vorderhaxen
gerollt, und der Kopf ward zu Sülze gekocht, die aßen drei estnische Mütterlein
unweit von Pskow. Die sechs Sektenmitglieder hatte man festgesetzt und verhört, sie
waren geständig, nannten Verbindungsmänner und Helfershelfer, doch an der Sache
blieb ein dunkler Fleck: das Gekröse. Es hatte beim magischen Ritual von Russlands
»Zerlegung« eine wichtige Rolle gespielt. Doch so unglaublich es erschien: Därme,
Pansen, Herz, Nieren und Lungen waren spurlos verschwunden. Keine noch so
ausgeklügelte Folter hatte Licht in die Sache gebracht. Die sechs hatten tatsächlich
keine Ahnung, wohin und von wem zu welchen Zwecken das Gekröse der zerlegten Kuh
verbracht worden war, so viel war klar. Hauptmann Schmulewitsch, der die
Ermittlungen in dieser Sache leitete, wusste es auch lange nicht – bis zu dem Tag,
an dem dank eines aufmerksamen Nachbarn ein Büchernarr, Münz-, Antiquitäten- und
Briefmarkensammler aus Sankt Petrograd inhaftiert werden konnte, der in seinem
Laden, von Marken, Büchern und sonstigem Klimbim abgesehen, fremdländischen
Touristen Konserven feilbot, die, wie sich bei näherer Betrachtungherausstellte, Rinderpastete enthielten – im Keller seines Hauses gewerblich
produziert, amateurhaft verschlossen und versiegelt. An allen Büchsen klebte das
gleiche Etikett: Rinderpastete »Weiße Kuh«. Wobei die Konserven nicht etwa verkauft, sondern als »kleines Dankeschön für den
Einkauf« verschenkt wurden. Binnen achtunddreißig Tagen hatten die Gehilfen des
Bücherfreunds so neunundfünfzig Büchsen Pastete hergestellt und an Ausländer
verteilt – genauer gesagt, ausschließlich an westliche Touristen, nicht an Chinesen
und sonstige Asiaten. Nach achtzehnstündigem Verhör gab der Bücherwurm zu, die Order
zur Herstellung und Verbreitung der Weißen
Kuh von einem getauften Juden bekommen zu haben, der darauf spurlos
verschwand und wenig später tot – erdolcht, mit abgehackten Fingern, ausgeschlagenen
Zähnen und ausgestochenen Augen – in der Sankt Petrograder Kloake aufgefunden wurde.
Haussuchungen bei dem Ermordeten wie auch Befragungen seiner Angehörigen hatten
ergeben, dass der Mann – ebenso wie der Bücherliebhaber – nie etwas von einer
Geheimgesellschaft Jaroswet gehört oder
gesehen hatte und von den Petrograder Sektenmitgliedern nur als Mittelsmann
missbraucht worden war. Drei Monate Fahndung hatten nichts weiter erbracht, als
einen Hehler dingfest zu machen, der beim Verhör auf eine alte Bürgerliche, einen
saisonweise tätigen Eisbrecher, einen Bänkelsänger, der auch jonglierte und Gewichte
stemmte, einen Netzmeister sowie einen Wächter im Zoologischen Garten verwies –
Leute also, die ihrer Abkunft, ihrem Beruf und ihrer Weltanschauung nach kaum
unterschiedlicher sein konnten, was die von Schmulewitsch geführte Ermittlergruppe
viel Zeit und Kraft raubte. Schmulewitsch, der zwar nicht der Klügste, aber zäh und
mit Sitzfleisch begabt war, hatte bei der Arbeit mit besagten fünf Inhaftierten zwei
wichtigeUmstände ans Licht gebracht: Alle pflegten sie dasselbe
Badehaus zu besuchen, und alle nutzten sie denselben Fernsprechdienst: Alkonost. Befragungen der Badehäusler wie
auch der Angestellten bei Alkonost hatten
jedoch keine neuen Erkenntnisse gebracht. So war der Vorgang
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