Der Zuckerkreml
wurde erst vor vier
Jahren umgebaut und nach unten erweitert. Platz ist genug. Und zu langsam arbeiten
wir ganz gewiss nicht. Nicht da liegt die Sache im Argen, Herr Smirnow. Sondern dass
in unserem Staat, der immer mehr blüht und gedeiht, die Kriminalität davon leider
nicht abnimmt. Im Gegenteil, sie nimmt zu. Und wissen Sie, warum?«
Der Untersuchungsgefangene schüttelte stumm den gelockten
Kopf.
»Sie entsinnen sich der Osterbotschaft unseres Gossudaren
an sein Volk?«
»Jaja, natürlich.«
Der Untersuchungsrichter kehrte zum Tisch zurück, fand auf
seinem Faustkeil die Rede des Gossudaren und rief sie als Hologramm auf. In der
Zelle erschien des Gossudaren leibhaftiges Antlitz.
»Kaum war Russland dem Sog der Roten Wirren entronnen«,
sprach der Gossudar zu seinem Volk, »kaum aus dem Nebel der Weißen Wirren
hervorgetaucht, kaum hatte es sich von den Knien erhoben, gelernt, das äußere Fremde
sich vom Halse zu halten wie auch den innerenSchweinehund – schon
kamen die Feinde Russlands, äußere und innere, aus den Ritzen gekrochen und wollten
unserer Heimat an den Kragen. Denn eine große Idee gebiert einen gewaltigen
Widerstand. Und während sich die äußeren Feinde im ohnmächtigen Zorn am Granit
unserer Großen Russischen Mauer die Zähne ausbeißen, verspritzen Russlands inwendige
Feinde heimlich ihr Gift …«
Sewastjanow schaltete das Hologramm ab.
»Ist Ihnen das erinnerlich, Herr Smirnow?«
Der Untersuchungsgefangene nickte.
»Russlands inwendige Feinde verspritzen heimlich ihr
Gift«, wiederholte der Richter. »Da haben Sie die Antwort auf Ihre Frage, Herr
Smirnow: warum wir Sie verhaften mussten.«
»Ich bin kein Feind Russlands.«
»Kein Feind Russlands? Ja, was dachten denn Sie, wer Sie
sind?«
»Ich … ich bin ein Bürger Russlands. Ein getreuer Untertan
des Gossudaren.«
»Sie behaupten, Russlands Freund zu sein?«
»Ich bin ein Bürger Russlands.«
»Bürger, Bürger, was soll das Gerede … Bürger sind wir
alle. Auch ein Mörder ist Bürger von Russland. Auch ein Übeltäter. Ich frage Sie:
Sind Sie Russlands Freund oder Feind?«
»Ich bin Russlands Freund.«
»Ganz sicher?«
»Ganz sicher«, nickte Smirnow. Leckte sich die trockenen
Lippen, zog den Kopf zwischen die mageren Schultern.
»Das ist fein«, sagte Sewastjanow, blätterte in Smirnows
Akte und zog einen Text hervor, den er vergrößerte und rot unterlegte.
In der Zelle schwebte ein Block aus roten Schriftzeilen.
»Erkennen Sie es wieder?«, fragte der Richter.
Smirnow, blinzelnd: »Nein … Ich sehe schlecht.«
Er senkte den Kopf.
»Ihnen kann geholfen werden.«
Der Untersuchungsrichter setzte sich an den Tisch und
begann mit gleichmäßig lauter Stimme vorzulesen:
DER SCHÜRHAKEN
Ein russisches Volksmärchen
Es war einmal ein Schürhaken. Der schürte im Ofen die Kohlen, kratzte
die Asche heraus, richtete die Scheite, wenn sie nicht gleichmäßig brannten. Viel
Kohle hatte er schon geschürt, viel Asche herausgekratzt. Und er war es leid, nächst
dem Ofen sein Leben zu fristen, in glühenden Kohlen zu wühlen war ihm zuwider, graue
Asche zu kratzen ödete ihn an. Und der Schürhaken beschloss, das Haus in aller
Heimlichkeit zu verlassen, um sich eine Arbeit zu suchen, die leichter, sauberer und
angenehmer war. Als der Ofen am Abend wieder brannte, rührte der Haken ein letztes
Mal in den Kohlen, kratzte die Asche aus dem Loch. Dann lief er schnurstracks auf
und davon. Verbrachte die Nacht zwischen Brennnesseln und ging am nächsten Morgen
auf Wanderschaft. Ging fürbass und schaute sich um. Da sah er den Koch auf sich
zukommen.
»Grüß dich, Schürhaken.«
»Grüß dich, Mensch.«
»Wohin des Weges?«
»Ich bin auf Arbeitssuche.«
»Dann komm doch zu mir.«
»Was muss ich bei dir tun?«
»Die Kohlen unter den Kesseln und Pfannen hin und her schieben, das
Feuer versehen, damit der Braten nicht anbrennt und die Suppe nicht verkocht, den
Ofen nach dem Piroggenbacken auskratzen …«
»Ach nein, das ist nichts für mich. Ich tät doch gern was Leichteres
finden, was Sauberes und Angenehmeres.«
»Na, dann mach’s gut, Schürhaken.«
»Mach’s gut, Mensch.«
Der Schürhaken ging seiner Wege. Da sah er den Stahlkocher auf sich
zukommen.
»Grüß dich, Schürhaken.«
»Grüß dich, Mensch.«
»Wohin des Weges?«
»Ich bin auf Arbeitssuche.«
»Dann komm doch zu mir.«
»Was muss ich bei dir
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