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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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Sewastjanow sich
     um und schritt zum Stahltisch, zog eine Schublade heraus.
    Darin lag ein Schürhaken. Sewastjaniow nahm ihn, zeigte
     ihn Smirnow vor.
    »Ist das deiner?«
    »Weiß ich nicht.«
    Sewastjanow ging zu ihm, hielt ihm den Haken vor die Nase.
    »Ob das deiner ist?«
    »Kann sein …«
    »Ohne Wenn und Aber!«
    »Meiner.«
    »Stimmt. Es ist der, den du in deinem Märchen beschreibst.
     Wie ging das doch gleich: Es war einmal ein Schürhaken, der lebte im Hause des
     andersdenkenden Soko-…, nein, Quatsch: Smirnow …, hatte es satt und machte sich
     davon. Zu uns, zur Geheimen Kanzlei. Ist also jetzt uns zu Diensten. Wir haben ihm
     ein feines Gehalt angewiesen. Und eine ordentliche Rente kriegt er, verlass dich
     drauf.«
    Sewastjanow entnahm der »goldenen Gans« einen
     Miniaturlaser, hielt ihn an das Hakenende und schaltete ihn ein. Der rote Strahl
     traf auf den Haken, heizte ihn schnell auf. Bedächtig führte Sewastjanow den Strahl
     über das Hakeneisen.
    »Du bist doch ein gebildeter und rechtgläubiger Mann,
     Smirnow«, redete er dabei weiter. »Du wirst verstehen: Bei uns hat jeder einzustehen
     für das, was er tut, wie für das, was er sagt. Denn jede Tat gründet letztlich auf
     Worten. Wo ein Wort ist, da ist die Tat nicht fern. Und wo Schuld ist, da hat Sühne
     zu sein.«
    Das Hakenende war nun rot glühend. In der Zelle roch es
     wie in einer Schmiede.
    Der Untersuchungsrichter schaltete den Laser aus und legte ihn
     zurück in die »goldene Gans«. Dann ging er zum Untersuchungsgefangenen, packte
     dessen Fußknöchel und riss ihn nach oben.
    »Ni-i-icht«, ächzte Smirnow.
    Sewastjanow presste das Hakenende gegen das dürre Gesäß
     des Untersuchungsgefangenen. Augenblicklich brannte sich das rot glühende Metall
     durch das grobe Sackleinen der Häftlingshosen und drang zischend ins Fleisch.
     Smirnow jaulte auf, zuckte zurück, doch Sewastjanow hielt dessen Bein fest gepackt,
     während er auf den Haken drückte. Erst als es nicht mehr zischte, ließ er Smirnow
     los. Der hörte nicht auf zu jaulen, wand sich und zappelte, stampfte mit den Füßen,
     warf den Lockenkopf hin und her.
    Sewastjanow verstaute den rauchenden, nach Grillfleisch
     duftenden Haken wieder im Tisch, rief per Knopfdruck den Wachhabenden, verschloss
     die schlaue Maschine, klappte die »goldene Gans« zu und ergriff sie, nahm den
     Faustkeil und verließ die Zelle.
    Auf dem Flur kam ihm der Wachhabende entgegen.
    »Den Untersuchungsgefangenen zurück in die Zelle.«
    »Zu Befehl!«
    Der Sergeant salutierte.
    Sewastjanow drehte um und marschierte, die »goldene Gans«
     schwenkend, munter den Flur entlang zu den Fahrstühlen.

    Bis 13.45 Uhr saß Sewastjanow in seinem Arbeitszimmer am
     Schreibtisch und befasste sich mit Smirnows Aussagen, legte Dossiers zu den von ihm
     genannten Personen an. Wie immer hatten längst nicht alle Namen aus dem Munde des
     gläsernen Gefangenen mit dem konkreten Fall von Verbreitung staatsfeindlicher
     Schriften unmittelbar zu tun. Nur fünf davonbekamen ein Dossier.
     Die aber – Monachow, Klopin, Janko und das Ehepaar Anna und Boris Tessler – hatten
     es in sich. Das waren wirkliche Feinde und keine »falschen Fuffziger«, wie sie sich
     ein paar junge und übereifrige Ermittler in letzter Zeit so gerne aus den Fingern
     sogen. Derlei Mitarbeiter schätzte Hauptmann Sewastjanow überhaupt nicht.
    Nach dem Mittagessen in der Kantine, die hell und geräumig
     war, schön ausgemalt im Stile des späten Somow, begab sich Sewastjanow ins
     Raucherzimmer, wo er zu einer Tasse starkem albanischen Kaffee eine schwarze
     indische Zigarre rauchte und sich Mühe gab, nicht an die Arbeit zu denken. Die
     Gedanken kreisten um die Datscha in Tolstopalzewo, deren Bau sich bis in den späten
     Herbst hingezogen hatte, und ob er dieses Jahr wohl noch dazu kommen würde, den Zaun
     zu versetzen, den Hof vor der Veranda zu pflastern schaffte er gewiss nicht mehr,
     und dass die chinesischen Arbeiter sich einmal mehr als Spitzbuben erwiesen hatten,
     und die Stromausbeute der viel gelobten Wasserstoffgeneratoren war eher mau, und die
     Preise für Baumaterialien waren in dieser Saison um die Hälfte gestiegen, und dass
     der Duma-Sekretär Rjabokon, der sein Nachbar war, etwas sehr augenfällig über seine
     Verhältnisse lebte, was zu allerlei Vermutungen Anlass gab, und dass Nina, das dumme
     Ding, nunmehr zum dritten Mal niederkommen würde und dass sein Dienst-KIA nach nur
     zwei Jahren

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