Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
Vom Netzwerk:
Plastikröhren
     zusammengesetzt waren.
    »Sawoska, zieh die Hufe ein …«
    »Die von Prowotorow kriegen ihr Essen schon wieder vor
     uns, San Sanytsch!«
    »Von mir aus …«
    »Von mir aus nicht! Gib mir ’nen Schluck Wasser.«
    »Trink, Schnorrer.«
    »Wer hat was zu rauchen übrig, ihr guten Leut?«
    »Bin gespannt, ob’s Fleisch gibt.«
    »Wenn der Herrgott doch mal ein Wölkchen schickte …«
    »Warts ab, heute Abend wird’s noch schneien …«
    »Absch-i-ied ist ein fre-he-hemdes La-and …«
    »Mensch, kannst du nicht mal still sein, Hufeisen?!«
    Der Hubschrauber landete.
    Die grüne Tür klappte auf, eine Leiter fuhr heraus, über
     die zwei Haftentlassene in schmutzigen weißen Kitteln, jeder mit einem
     Zehnliter-Thermoskübel, Kastenbroten und einer Packung aus Reismehl gepresstem
     Einweggeschirr herabgestiegen kamen. Ihnen folgten zwei Wachsoldaten mit der
     Klappliege, Tanjuscha genannt, und der Lagerscharfrichter Matjucha mit seiner
     schlanken Frischhaltebox. Die Arbeiter wurden kleinlaut. Matjucha, klein und
     stämmig, sprang von der Leiter.
    »Seid gegrüßt, ihr Experten!«, rief er und zwinkerte in
     die Runde.
    Er war rothaarig, mit kräftigem Genick und plattem,
     zerknittertem Gesicht ohne Brauen, aber mit vielen Sommersprossen; die Augen zu kaum
     erkennbaren Schlitzen verengt.
    »Scheiße, uns erwischt’s mal wieder«, brummte Hufeisen und
     spuckte grimmig durch die kranken gelben Zähne ins trockene Moos.
    »Vor der Speisung etwas Würze fürs Fleisch! Klappt das Ding auf,
     Jungs!«, an die Soldaten gewandt.
    Die Soldaten klappten die Tanjuscha auf.
    Petrow nahm die Mütze vom weißen Haar und bekreuzigte
     sich.
    »Lieber Gott, mach mich stark und lass den Kelch
     vorübergehn …«
    San Sanytsch kratzte sich müde lächelnd den runzligen
     Nacken.
    »Na, da haben wir unsere zweiundachtzig Prozent.«
    Die Wachsoldaten stellten die Streckbank (grüne
     Metallkeramik) auf die Füße, schraubten die Gelenke fest, schnallten die Riemen ab.
     Derweil setzten sich die Haftentlassenen mit ihren Kübeln unter das Zeltdach. Der
     Pilot steckte den Kopf aus der Kabine, rauchte und schaute zu.
    Matjucha nahm seinen Faustkeil aus dem Gürtel und
     schaltete ihn auf den Platzlautsprecher. Nun sprach der graue runde Kasten, der eben
     noch zum »Essenfassen« gerufen hatte, mit der Stimme von Major Semjonow, dem Chef
     des Umerziehungslagers No. 182, dem die Brigade zurechnete und dessen zweiundvierzig
     Baracken zwischen zwei Bergkuppen, Gladkaja und Prileschaj, gelegen waren, knapp
     zweihundertfünfzig Werst von hier.
    »Wegen Nichterfüllung des Sechstageplans zur Errichtung
     des Ostabschnitts der Großen Russischen Mauer wird Brigade No. 17 zur exemplarischen
     Auspeitschung mit Salzruten verurteilt.«
    Die Arbeiter hatten atemlos gestanden; jetzt kam Bewegung
     in sie.
    »Exemplarisch … Nicht alle, Gott sei Dank«, seufzte Petrow
     in sich hinein.
    »Dich trifft es, keine Bange«, brummte Hufeisen und
     spuckte aus.
    »Zweiundachtzig sind immerhin besser als zweiundsiebzig«, machte
     Sanjok einen blöden Witz und kicherte.
    Matjucha warf dem Vorarbeiter Slonow eine Schachtel
     Streichhölzer zu, beugte sich zu seinem Thermoszylinder, schraubte den Deckel ab.
    »Los geht’s.«
    Der Vorarbeiter entnahm der Schachtel zehn Hölzer, kürzte
     drei davon, gab die Hölzer Matjucha in die Hand. Der drehte sich nur kurz weg und
     gleich wieder her, zügig wie ein Profi hatte er sich die zehn Streichhölzer, Kuppen
     nach vorn, zwischen die Finger gesteckt.
    Die Männer begannen zu ziehen. Es traf Sawoska, Salman und
     Petrow. Die Unglücksraben nahmen ihr Schicksal auf sehr verschiedene Weise entgegen.
    Sawoska kratzte sich mit der Streichholzkuppe die alte,
     noch aus Putins Zeiten stammende Brusttätowierung, dann schob er sich das Hölzchen
     grinsend zwischen die Zähne.
    »Dumm gelaufen!«, sagte er und sah Matjucha aus schmalen
     Augen an.
    Salmans Gesicht hingegen verdüsterte sich schlagartig, er
     murmelte etwas Düsteres auf Tschetschenisch, schmiss das Hölzchen weg, schob die
     kräftigen Fäuste in die Hosentaschen und pfiff lautlos, aber tückisch vor sich hin,
     sein zementgrauer Schuh zerdrückte das grün marmorierte Moos.
    Petrow wiederum, als er das kurze Hölzchen gezogen hatte,
     ächzte auf, seine Unterlippe schob sich nach vorn.
    »Lieber-Gott-behüte-mich, lieber-Gott-behüte-mich,
     lieber-Gott-behüte-mich …«, hob er zu murmeln an, die weißhäutige Faust, in der

Weitere Kostenlose Bücher