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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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treibt es zu den erstaunlichsten Klängen. Die Kehle gehorcht
     ihr. Die Stimme schallt durch den ganzen Kreml. Ihre Kraft und Reinheit lässt die
     Gossudarin erschaudern. Vor Freude weint sie, hat sich jedoch schnell wieder
     gefasst, Stolz erfüllt sie und ein Gefühl von Größe. Singen hat sie früher weder
     gekonnt noch gemocht, weiß darum kein Lied zu Ende zu singen, keine einzige
     russische Romanze. Gut, sie mochte es, wenn andere sangen, schönejunge Männer vor allem, in Uniform. Über den weißen Schotter schreitend, kramt die
     Gossudarin Bruchstücke von Liedern, Opernarien und Romanzen aus dem Gedächtnis und
     schmettert sie aus vollem Hals, sodass die Kremlmauern von der Kraft und Reinheit
     ihrer Stimme erbeben. Ein Stück von einer Romanze hält sich in ihrer Kehle besonders
     hartnäckig, sie singt es in einem fort, in verschiedenen Lagen variierend:

    Bleib du bei mir, geh nur nicht fort.
    Alhier ist ein gevellich Ort.
    Wann du verweylst, deck ich itzund
    Mit Küssen dir Stirn, Aug und Mund.

    Ein ums andere Mal diese Worte singend, sich jung fühlend
     und froh, setzt die Gossudarin den Gang durch den weißen Kreml fort, sieht vor sich
     die berühmten russischen Reliquien: Zar-Puschka, die alte Kanone, und den
     Glockenturm, Zar-Kolokol, sie läuft vorbei an ihm, fährt mit der Hand über seine
     weiß glänzende Haut, Zar-Kolokol hallt wider von ihren Gesängen, die Stimme der
     Gossudarin tönt und schallt bis in sein Inneres und wieder daraus hervor. Im
     Weitergehen gewahrt sie, dass auch die Blautannen im Kreml auf einmal weiß sind, sie
     geht hin, greift nach einem der wie geschnitzten, funkelnd weißen Wedel, geht dann
     hinüber zur Kanone, singt, singt, singt – und das Riesenrohr tönt zurück, dröhnt und
     orgelt in allen Lagen. Sie legt ihre verjüngten Handflächen an den weißen Lauf und
     hat mit einem Mal deutlich das Gefühl, als wäre der ganze Kreml – Mauern, Kirchen,
     der Palast des Gossudaren, das Pflaster, die Bäume und Zar-Puschka – aus einem
     besonderen, unerhört reinen Kokain gepresst. Ein außergewöhnlicher Stoff, wie Manna
     vom Himmel – er ist es, der ihren Leib verjüngt hat. Während sie nun alsoZar-Puschka leckt, spürt sie die erlesene Kraft dieses Stoffs, ihr
     Herz pocht, als wollte es aus dem Brustkasten springen. Eine Erregung, die in Wellen
     an- und abschwillt, macht die Gossudarin zittern. Ihre schlanken, jungen Beine
     beben, ihre straffen Brüste wogen, der Atem weitet ihr den Rumpf. Inbrünstig leckt
     sie die Kanone, ihre Beine zucken und zappeln, die Zunge wird angenehm taub, Tränen
     fließen, sie fährt sich mit den Händen über den Leib, der jung ist und berückend,
     sich zu berühren ist das höchste der Gefühle, all diese Kurven, diese Kanten, diese
     Längen, sie streichelt ihre warme, seidige Haut, herzt jede Kuhle, knetet die
     Brüste, der Rausch nimmt immer mehr zu. Den göttlichen Stoff zwischen den Schenkeln,
     hätte sie jetzt schrecklich gern einen Orgasmus, doch das Relief des Kanonenrohrs
     ist hart und unbequem. Da gewahrt sie neben sich die Pyramide aus weißen Kugeln –
     drei unten, eine obenauf –, mächtige Kanonenkugeln, wie sie die Zar-Puschka vor
     Zeiten verschoss. Zitternd vor Ungeduld besteigt sie diese Pyramide, setzt sich auf
     die oberste Kugel, nimmt sie zwischen die Schenkel und presst, drückt ihren hübsch
     rasierten Schamhügel gegen das weiß funkelnde, kühle Rund, klammert sich mit den
     Händen an, presst stärker, stärker, stärker, stärker – und kommt.
    Die Gossudarin erwachte.
    Schlug die Augen auf, die voller Tränen waren. Ihre
     Dienerin stand neben dem Bett.
    »Was ist?«, fragte die Gossudarin, ihre Stimme klang rau.
     Sie hob den Kopf und ließ ihn schwer seufzend auf die Kissen zurücksinken.
    Wortlos tupfte die Dienerin ihr mit einem Tüchlein die
     Augen.
    »Hach … mein Gott«, stieß die Gossudarin keuchend hervor.
     »Nimm das von mir.«
    Die Dienerin schlug die Daunendecke zurück. Die Gossudarin lag da
     in einem durchscheinenden Nachthemd, das so rosa war wie die Schlafzimmerwände. Der
     zu ihren Füßen lagernde Windhund erhob sich, gähnte, schüttelte und streckte sich,
     dann kam er, mit dem dünnen Schwanz wedelnd, quer über das Bett bis vor das Gesicht
     der Gossudarin. Die lag da, ihr Atem ging schwer. Mit jedem Atemzug hoben sich die
     großen Brüste und wippten. Der Hund näherte sich ihrem Gesicht, leckte über Mund und
     Nase.
    »Lass das!«, knurrte

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