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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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das
     Hölzchen steckte, gegen die Brust gepresst, mit der anderen bekreuzigte er sich.
    Matjucha verstaute die unversehrten Streichhölzer in der
     Schachtel und zog aus dem Zylinder eine Birkenrute vonder Dicke
     eines männlichen kleinen Fingers, die von Blättern und Zweiglein befreit und in
     Salzlake eingeweicht war. Er streifte die Feuchtigkeit von ihr ab und ließ sie
     einmal kundig durch die heiße Luft schwirren.
    »Der Erste darf sich langmachen.«
    Die Delinquenten blickten einander an. Im Lager riss sich
     keiner darum, Erster zu sein, das war Gesetz. Matjucha wusste das und geduldete
     sich. Er wartete, die gesenkte Rute am Stiefelschaft; ein Profi.
    »Haltet euch wacker, Brüder«, kam die traditionelle
     Aufmunterung vom Vorsteher, dessen große, braun gebrannte Hände unruhig umgingen.
    Matjucha schwieg. Er war ein erfahrener Scharfrichter,
     seit sechs Jahren im Amt; Sprüche, die man von anderen Folterknechten im Lager zu
     hören gewohnt war, etwas wie: »Wer sich früh hinlegt, kann früh wieder aufstehen!« –
     »Wer seinen Arsch retten will, hat den Kopf zu verlieren!« – »Rute und Arsch sind
     miteinander gut Freund, beide dienen dem Staate!« – oder: »Die Rute ist gut gegen
     Rheumatismus!« – verkniff er sich seit Langem.
    »Was soll’s!«, seufzte Sawoska mit einem Seitenblick auf
     den brabbelnden Petrow und zwinkerte Slonow zu. »Dann werd ich mich mal ein bisschen
     verunzieren lassen, was, Chef?«
    »Nur zu, Sawoska, keine falsche Scheu!«, nickte Slonow.
    Beitbeinig näherte sich Sawoska der Tanjuscha, knöpfte die
     Hosen auf, ließ auch die blaue Unterhose rutschen, schlug ein Kreuz und streckte
     sich aus. Unverzüglich schnallten die Wachleute ihn an Armen und Beinen fest.
     Matjucha schlug ihm das Hemd nach oben, zog die Unterhose etwas tiefer, sodass die
     muskulösen Schenkel sichtbar wurden, reckte sich und ließ, fast ohne auszuholen, die
     Rute hart und saftig auf Sawoskas straffem, vonfrüheren
     Züchtigungen sichtbar gezeichnetem Gesäß niedergehen.
    »Sch-sch-scheiße-eins!«, stieß Sawoska zähnefletschend
     hervor, die Wange an die grüne Kopfstütze gelegt, die in der Sonne glänzte.
    Matjucha gab ihm die nächste.
    »Sch-scheiße-zwei!«, zählte Sawoska.
    Pfeifend klatschte die Rute auf die Gesäßbacken.
    »Sch-sch-scheiße-drei!!«
    Auf den Backen traten lila Streifen hervor. Matjucha
     peitschte hart und mühelos, ohne viel Getue, sachlich verrichtete er sein Amt,
     bewies mit jedem Hieb, dass er sein Brot als Lagerscharfrichter rechtmäßig verdiente
     und auch den Sibirienzuschlag. Er zählte die Hiebe natürlich mit – still für sich.
     Nur Amateure, denen der Ochsenziemer, die Siebenschwänzige oder die Salzrute
     umständehalber einmal in die Hand fällt, zählen laut. Ein echter Scharfrichter
     schweigt bei der Arbeit, damit nichts den Delinquenten von seiner Strafe und die
     sonstigen Anwesenden vom besinnlichen Mitvollzug ablenkt.
    Dreißig Schläge mit der Salzrute, das war das übliche
     Strafmaß. Wenn sie dabei zerbrach, war das das sofortige Ende der Exekution. Aber
     das konnte nur einem ungeübten oder schlampig operierenden Scharfrichter passieren.
     Matjucha war erfahren und gewissenhaft wie kein Zweiter, eine Rute zerbrach ihm so
     gut wie nie.
    »Sch-sch-scheiße-sechzehn! Sch-sch-scheiße-siebzehn!
     Sch-sch-scheiße-achtzehn!«, zählte Sawoska laut, ballte die Fäuste und zwang sich zu
     einem Grinsen in Richtung Arbeiter.
    Die schwarze Rute klatschte auf sein angespanntes,
     muskulöses Gesäß, die lila Längsstreifen färbten sich rot und immer röter, Blut trat
     hervor. Beine und Rücken versteiften sich, der Kopf zuckte vor Anspannung. Sawoska
     ballte sich gewissermaßen ganz zur Faust, ließ den Schmerz nicht inseinen Körper hinein, das war seine Methode. Jeder, der einmal auf der Tanjuscha
     gelegen und die Lagerrute gespürt, die pfeifenden Schläge mitgezählt hatte, ertrug
     die Prozedur auf eigene Art. Sawoska suchte den Schmerz durch Muskelanspannung zu
     beherrschen. Und man sah, er war der Rute nicht zum ersten Mal ausgesetzt, wusste,
     wie ihr zu begegnen war.
    »Sch-scheiße-sechsundzwanzig!
     Sch-scheiße-siebenundzwanzig! Sch-scheiße-achtundzwanzig!«
    Sawoskas Gesicht war puterrot, das Grinsen gelang ihm noch
     mit Ach und Krach, die Zähne knirschten, die verklebten Haarwirbel wippten.
    »Halte durch!«, ermunterte ihn Slonow.
    »Sch-sch-scheiße-dreis-s-s-ig!«, skandierte Sawoska, und
     das Grinsen

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