Der Zuckerkreml
die Gossudarin und stieß ihn weg.
Der Hund sprang vom Bett und lief durch die offene Tür ins
Badezimmer. Keuchend versuchte die Gossudarin sich aufzusetzen, die Dienerin fasste
ihr unter den dicken weißen Arm und gab Halt, derweil sie der Gossudarin ein paar
rosa Seidenkissen ins Kreuz schob.
Nun saß die Gossudarin gegen den Kissenhügel gelehnt.
Spreizte die dicken, weißen Beine, hob den spitzenbesetzten Hemdsaum, fuhr sich mit
der Hand über den glatt rasierten Schoß und hob sie vors Gesicht. Die Hand war nass.
»Da schau!«, sagte die Gossudarin und wies die Handfläche
der Dienerin vor.
Die Dienerin schüttelte betrübt ihr akkurat frisiertes
Köpfchen, ergriff die Hand der Gossudarin und wischte diskret mit dem Tüchlein
darüber.
»Und das nur, weil ich schon die dritte Nacht allein
schlafe!«
Mitfühlend wiegte die Dienerin das Köpfchen.
»Oje-e-eh!«, seufzte die Gossudarin vernehmlich und
schaute zur bemalten Decke.
Dort in den Wolken stritten feiste Putten um jemandes
entflammtes Herz.
Der Windhund kam zurück ins Schlafzimmer gefegt,sprang auf das Bett und ging daran, sich zu putzen. Die Gossudarin
umarmte ihn, zog sich den Hund an die wogende Brust.
»Kognak!«, befahl sie.
Im Handumdrehen hatte die Dienerin das auf dem
geschnitzten Beistelltisch bereitstehende Glas aus einer kristallenen Karaffe
gefüllt und auf goldenem Tablett samt einem Teller mit Staubzucker überpuderter
Ananasscheibchen kredenzt. Die Gossudarin kippte den Kognak, schob ein Scheibchen
Ananas nach und kaute mit vollen Backen. Die Dienerin stand mit dem Tablett daneben
und betrachtete ihre Herrin mit verhohlener Bewunderung.
Die Gossudarin stellte das leere Glas aufs Tablett.
»Gib doch mal …«
»Oliven?«, kam die Dienerin zuvor.
»Nein, ich meine …«
Die Gossudarin griff sich noch ein Stück Ananas, während
ihre feuchtschwarzen Augen suchend durch das Schlafzimmer huschten.
»Schnupftabak gefällig?«
»Nein! Den … Dings …«
»Den Faustkeil?«
»Ja doch. Ruf Komjaga an.«
Die Dienerin nahm den goldenen Faustkeil in Form eines
Fisches mit großen Smaragdaugen vom Tisch, drückte Tasten. Der Faustkeil reagierte
mit einem melodischen Signal. Aus dem Fischmaul schlüpfte ein Hologramm: Komjagas
schmales, ernstes Gesicht erschien. Er saß in seinem Merin. Die Hände am Lenkrad,
neigte Komjaga den vergoldeten Lockenschopf:
»Meine Gossudarin, ich höre.«
»Wo bist du?«
»Soeben aus Tjumen gelandet, Gossudarin. Ich bin auf der
Kiewer Trasse.«
»Komm her, aber hurtig.«
»Zu Befehl.«
Das Hologramm erlosch.
Die Gossudarin rülpste. Dann fragte sie, den Blick zur
Dienerin gewandt:
»Ist doch wieder mal dran, oder?«
»Das ist es, meine Gossudarin«, entgegnete die Dienerin
mit leisem Entzücken.
»Und ob!«
Die Gossudarin wurde unruhig, schob sich den Hund von der
Brust.
Auf den hingehaltenen Arm der Dienerin gestützt, stand die
Gossudarin auf. Schüttelte ihr dichtes, sich bis auf die Schultern herabkringelndes
schwarzes Haar. Reckte ihren massigen Leib, verzog stöhnend das Gesicht, griff sich
in die Hüfte. Tat einen Schritt hin zum Fenster, vor das die Gardine gezogen war,
tippte mit einem Finger an den rosa Stoff, der gehorsam zur Seite fuhr.
Die Gossudarin blickte aus dem Fenster auf den kleinen
Park mit den beschneiten Blautannen, auf die Erzengel-Michael-Kathedrale, einen Teil
des Vorplatzes mit den Bettlern und den Tauben, die Strelitzen in ihren roten
Mänteln und den leuchtend blauen Hellebarden, die Wächter mit den Streitkolben, die
Bettelmönche mit den eisernen Kiepen, Sawoska, den heiligen Narren mit seinem
Knüppel. Und in einiger Entfernung, hinter der Ecke der
Mariä-Himmelfahrts-Kathedrale, sah sie die Umrisse der gusseisernen
Zar-Puschka-Kanone. Daneben die kleine Kanonenkugelpyramide, schwarz vorm weißen
Schnee. Bei der Erinnerung an die weiße, glatte, kühle Kugel griff sich die
Gossudarin unwillkürlich an den warmen Bauch.
»Sogar höchste Zeit!«, sagte sie kaum vernehmlich und
schnipste den Zeigefinger gegen die kugelsichere Scheibe.
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ESSENFASSEN
Der gellende Sirenenton aus dem grauen, runden, von der
Mittagssonne aufgeheizten Lautsprecher, an die blanken Nerven rührend in seiner
blinden Erbarmungslosigkeit, jedem Menschenohr zuwider, ließ die Libellen, die sich
darauf niedergelassen und eben zu paaren begonnen hatten, erschrocken das Weite
suchen, verbreitete
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