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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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die Gossudarin und stieß ihn weg.
    Der Hund sprang vom Bett und lief durch die offene Tür ins
     Badezimmer. Keuchend versuchte die Gossudarin sich aufzusetzen, die Dienerin fasste
     ihr unter den dicken weißen Arm und gab Halt, derweil sie der Gossudarin ein paar
     rosa Seidenkissen ins Kreuz schob.
    Nun saß die Gossudarin gegen den Kissenhügel gelehnt.
     Spreizte die dicken, weißen Beine, hob den spitzenbesetzten Hemdsaum, fuhr sich mit
     der Hand über den glatt rasierten Schoß und hob sie vors Gesicht. Die Hand war nass.
    »Da schau!«, sagte die Gossudarin und wies die Handfläche
     der Dienerin vor.
    Die Dienerin schüttelte betrübt ihr akkurat frisiertes
     Köpfchen, ergriff die Hand der Gossudarin und wischte diskret mit dem Tüchlein
     darüber.
    »Und das nur, weil ich schon die dritte Nacht allein
     schlafe!«
    Mitfühlend wiegte die Dienerin das Köpfchen.
    »Oje-e-eh!«, seufzte die Gossudarin vernehmlich und
     schaute zur bemalten Decke.
    Dort in den Wolken stritten feiste Putten um jemandes
     entflammtes Herz.
    Der Windhund kam zurück ins Schlafzimmer gefegt,sprang auf das Bett und ging daran, sich zu putzen. Die Gossudarin
     umarmte ihn, zog sich den Hund an die wogende Brust.
    »Kognak!«, befahl sie.
    Im Handumdrehen hatte die Dienerin das auf dem
     geschnitzten Beistelltisch bereitstehende Glas aus einer kristallenen Karaffe
     gefüllt und auf goldenem Tablett samt einem Teller mit Staubzucker überpuderter
     Ananasscheibchen kredenzt. Die Gossudarin kippte den Kognak, schob ein Scheibchen
     Ananas nach und kaute mit vollen Backen. Die Dienerin stand mit dem Tablett daneben
     und betrachtete ihre Herrin mit verhohlener Bewunderung.
    Die Gossudarin stellte das leere Glas aufs Tablett.
    »Gib doch mal …«
    »Oliven?«, kam die Dienerin zuvor.
    »Nein, ich meine …«
    Die Gossudarin griff sich noch ein Stück Ananas, während
     ihre feuchtschwarzen Augen suchend durch das Schlafzimmer huschten.
    »Schnupftabak gefällig?«
    »Nein! Den … Dings …«
    »Den Faustkeil?«
    »Ja doch. Ruf Komjaga an.«
    Die Dienerin nahm den goldenen Faustkeil in Form eines
     Fisches mit großen Smaragdaugen vom Tisch, drückte Tasten. Der Faustkeil reagierte
     mit einem melodischen Signal. Aus dem Fischmaul schlüpfte ein Hologramm: Komjagas
     schmales, ernstes Gesicht erschien. Er saß in seinem Merin. Die Hände am Lenkrad,
     neigte Komjaga den vergoldeten Lockenschopf:
    »Meine Gossudarin, ich höre.«
    »Wo bist du?«
    »Soeben aus Tjumen gelandet, Gossudarin. Ich bin auf der
     Kiewer Trasse.«
    »Komm her, aber hurtig.«
    »Zu Befehl.«
    Das Hologramm erlosch.
    Die Gossudarin rülpste. Dann fragte sie, den Blick zur
     Dienerin gewandt:
    »Ist doch wieder mal dran, oder?«
    »Das ist es, meine Gossudarin«, entgegnete die Dienerin
     mit leisem Entzücken.
    »Und ob!«
    Die Gossudarin wurde unruhig, schob sich den Hund von der
     Brust.
    Auf den hingehaltenen Arm der Dienerin gestützt, stand die
     Gossudarin auf. Schüttelte ihr dichtes, sich bis auf die Schultern herabkringelndes
     schwarzes Haar. Reckte ihren massigen Leib, verzog stöhnend das Gesicht, griff sich
     in die Hüfte. Tat einen Schritt hin zum Fenster, vor das die Gardine gezogen war,
     tippte mit einem Finger an den rosa Stoff, der gehorsam zur Seite fuhr.
    Die Gossudarin blickte aus dem Fenster auf den kleinen
     Park mit den beschneiten Blautannen, auf die Erzengel-Michael-Kathedrale, einen Teil
     des Vorplatzes mit den Bettlern und den Tauben, die Strelitzen in ihren roten
     Mänteln und den leuchtend blauen Hellebarden, die Wächter mit den Streitkolben, die
     Bettelmönche mit den eisernen Kiepen, Sawoska, den heiligen Narren mit seinem
     Knüppel. Und in einiger Entfernung, hinter der Ecke der
     Mariä-Himmelfahrts-Kathedrale, sah sie die Umrisse der gusseisernen
     Zar-Puschka-Kanone. Daneben die kleine Kanonenkugelpyramide, schwarz vorm weißen
     Schnee. Bei der Erinnerung an die weiße, glatte, kühle Kugel griff sich die
     Gossudarin unwillkürlich an den warmen Bauch.
    »Sogar höchste Zeit!«, sagte sie kaum vernehmlich und
     schnipste den Zeigefinger gegen die kugelsichere Scheibe.

[Menü]
    ESSENFASSEN
    Der gellende Sirenenton aus dem grauen, runden, von der
     Mittagssonne aufgeheizten Lautsprecher, an die blanken Nerven rührend in seiner
     blinden Erbarmungslosigkeit, jedem Menschenohr zuwider, ließ die Libellen, die sich
     darauf niedergelassen und eben zu paaren begonnen hatten, erschrocken das Weite
     suchen, verbreitete

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