Der Zuckerkreml
der Angst: Was, wenn wir nie mehr da
rauskommen? So viele Menschen hatte ich noch nie gesehen! Ist es in der Metro immer
so voll?, hab ich unseren seligen Papa gefragt. Nein, antwortete er, das ist, weil
außer uns auch noch andere den neuen Kreml gucken wollen. Schließlich sind wir
Tretjakowskaja ausgestiegen, dort waren noch mehr Massen, großes Gedränge, Papa
hielt uns bei den Händen, wir drückten uns an ihn. So gelangten wir hinaus auf die
Uferpromenade. Und da sahen wir ihn, den weißen Kreml, weißt Du noch? Er stand am
gegenüberliegenden Ufer der Moskwa. Schneeweiß! Das Volk ringsum rief ah! und oh!.
Papa schlug ein Kreuz und verneigte sich vor dem Kreml. Und plötzlich kam die Sonne
hinter einer großen Wolke hervorgerollt und sprühte Licht auf die weißen Kremlmauern
– wie er da aufglänzte! Dass die Augen schmerzten! Das Bild sehe ich noch vor mir.
Auch Dir taten vom Hinschauen die Augen weh, man hätte die Sonnenbrille mitnehmensollen, sagtest Du. Da lachte der Papa über Dich und sagte:
Töchterlein, Schönheit beguckt man sich ohne Sonnenbrille! Und dann hab ich genauer
hingesehen und mich in diesen Kreml verguckt, mein Kopf füllte sich mit Licht, es
war wie das göttliche Taborlicht, von dem Papa so gerne sprach. Ein großes Klingen
und Gleißen im Kopf, und man möchte nie mehr wegsehen, die Augen schmerzen nicht
mehr, ich gucke und gucke, nein, was für ein Weiß, es saugt den Blick geradezu an,
strahlt in der Sonne, und im Kopf singen die Engel, welch ein Gefühl, ein Schwelgen,
ein Behagen, der Himmel tiefblau, die Wolken haben sich verzogen, die Sonne knallt,
der Kreml strahlt, die Augen kleben an, ich habe alles um mich her vergessen,
schauen, nichts als schauen, und mir ist so wohl dabei, dass ich mich nicht rühren
mag, meine Hand in Vaters Hand, und mein Herzenswunsch ist, dass alles so bleibt:
dass auch Vater nix sagt und sich nicht bewegt, dass Du mich nicht zwickst, und die
Leute ringsum mögen zu Säulen werden, ich will gucken und gucken und gucken und
gucken, und ich hätte am liebsten ewig so gestanden und so lange geguckt, bis die
Augen vor Müdigkeit zufielen, was sie aber nicht taten, tränten nicht einmal, wurden
groß und rund und guckten, guckten, als wäre es das – sonst war nichts weiter nötig
auf Erden, immer nur gucken, dastehen und gucken, Kremlgucken und stillstehen,
gerade stehen und ordentlich, damit nichts aufgestört wird und durcheinanderkommt.
Den weißen Kreml angucken, unverwandt, damit auch er stillsteht, sich nicht vom
Fleck rührt, nicht von der Bildfläche verschwindet, dasteht an seinem richtigen,
wichtigen Platz, für alle Zeiten und in Ewigkeit, am Ort der großen, guten Sache, zu
der alle gekommen sind, sich versammelt haben, um alles gut und richtig zu machen,
beieinander zu sein, eins zu sein mit der Welt, in der die Weichen gestellt werden
indie richtige Richtung, für alle Zeiten, dass nur ja keiner
dazwischenfunkt, damit dieser weiße Kreml da stehen bleibt an seinem Platz in aller
Mitten und man ihn richtig begucken kann, sehenden Auges, sodass einem das Herz
übergeht, dass die Seele erglänzt im goldenen Licht, dem Licht des Kreml, des
großen, gewaltigen, das macht, dass es uns allen gut geht, so gut, dass kein Wunsch
offenbleibt, es genügt, zu schauen und von Herzen froh zu sein, den weißen Kreml mit
den Augen trinken, den weißen Kreml mit den Augen essen, mehr muss nicht sein, und
alle rechtschaffenen Leute stehen dir bei, ehrlich und rechtschaffen stehen sie und
freuen sich, stehen mit offenen Augen, guten Augen, und in allen kannst Du einen
kleinen weißen Kreml sehen, Tausende Millionen von weißen Kremls in den Augen
rechtschaffener Leute, derer, die es verstehen, auf rechte Art zu ehren und zu
preisen, denn was sie tun, das tun sie gut, das tun sie richtig, eifrig betrachten
sie unseren geliebten geheiligten weißen Kreml, und mehr braucht es nicht als die
Gewissheit, dass er immer dort stehen wird, dass nichts dazwischenkommt, und schauen
muss man still und leise damit kein Schauder aufkommt und keine Störung schauen ohne
die Augen zu überanstrengen ruhig und gelassen schauen schauen schauen und alles
wird gut gut und gelassen und den Menschen ein Wohlgefallen alle werden glücklich
sein bis in alle Ewigkeit sofern sie es lernen den weißen Kreml anzuschauen wie es
sich gehört anderes ist nicht nötig und überhaupt nicht
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