Der Zuckerkreml
hatt ich zwei Kanister angeschleppt.
Und heute seh ich – kein Tropfen mehr.«
»Ihr lebt ja üppig.« Sascha stellte ein Krüglein vor ihn
auf den Tisch, legte einen Teebeutel hinein und setzte sich ihm gegenüber.
»Mutter guckt alleweil in die Blase. Die Serie mit dem
Waisenkind.«
»Alewtina?«
»Genau.«
Wanja blickte Sascha an. Sie seufzte und sah aus dem
Fenster.
»Ich guck bloß Nachrichten, und das auch nich jeden Tag«,
sagte sie.
»Ich guck gleich gar nich.«
»Das ist das Beste.«
Sascha sah wieder aus dem Fenster. Die Wanduhr piepte:
9:30.
»Kommste nich zu spät?«, fragte sie, zur Uhr sehend.
»Ach was!« Wanja winkte ab. »Die warten. Sind froh, dass
sie ’nen Esel wie mich gefunden haben.«
Im Sieder kochte es. Sascha stand auf, brachte das Wasser
herüber, goss ein.
»Trinkst du keinen?«
»Hab schon.«
Iwan zog einen in Papier verpackten kleinen Gegenstand aus
der Tasche und wickelte ihn aus.
»Schau, ich hab uns was mitgebracht.«
Wanja faltete das Papier ganz auseinander. Darin lag ein
Zuckerkremlturm: der Kutafja.
»Ja sag mal!« Sascha stellte den Sieder auf dem Tisch ab,
nahm den Turm in die Hand. »Wo hast du den her?«
»Hat der Schwager angeschleppt.«
»Hübsch.«
»Tja. Davon verstehn sie was … Gib das Messer.« Wanja
blickte Sascha ins Gesicht.
Sascha zog den schmalen Tischkasten auf, holte ein langes
Küchenmesser mit abgewetztem Holzgriff hervor und reichte es Wanja. Der nahm ihr den
Turm aus der Hand, legte ihn auf seine flache Linke, schwang das Messer und hieb den
Turm in zwei Hälften. Die eine reichte er Sascha und streute sich die abgesprengten
Zuckerkrümel in den Mund.
»Setz dich und trink auch noch einen.«
Sascha goss sich heißes Wasser ins Glas, warf einen
Teebeutel hinein, setzte sich und rührte mit dem Löffel um. Wanja tunkte seine
Turmhälfte in den Tee, lutschte, biss ab. Trank Tee nach. Sascha tunkte ihre Hälfte
ein, lutschte, trank. Schaute aus dem Fenster. Wanja knabberte am Zucker und schaute
Sascha in die Augen.
»Der Schwager hat in Medyn ’ne neue Schote über die
Schwiegertochter vom Gossudaren gehört«, sagte er und schlürfte vernehmlich seinen
Tee.
»Die Nastja?«
»Genau. Im Kreml, da gibts ein wunderhübsch Mägdelein, das
führt drei Pud Scheiße auf dem Kopf spazieren. Wenn sie sich verbeugt, bricht ein
halbes Pfund ab. Und wenn sie den Pfau macht …«
»… wachsen zweie nach.«
»Ach. Den kennst du schon?«, lachte Wanja.
»Ja.«
»Den Pfau macht … Is doch witzig, oder?«, lachte Wanja und
kniff das Auge zusammen.
»Na ja. Warum auch nicht? Soll sie den Pfau machen. Muss
ja keine Kuh melken, denk ich.«
»Nee, das bestimmt nich. Für die melken andere.«
»Melken und tun und machen.«
»Na, genau.«
Sie schwiegen ein Weilchen und schlürften ihren Tee.
Plötzlich fing die auf dem Tisch liegende Fernspreche zu klingeln an. Es erschien
ein winziges, unscharfes Hologramm: das Gesicht einer Alten mit Kopftuch.
»Hallowerischda?«, fragte die Alte, die Augen angestrengt
zusammenkneifend.
»Holla, die Waldfee«, scherzte Sascha, das Glas an den
Lippen. »Wen wollen Sie sprechen?«
»Naschtaschja.«
»Nastasja, das bin ich nicht«, lachte Sascha.
»Nastasja, die sitzt im Kreml«, fügte Wanja hinzu.
Sascha und Wanja lachten herzlich. Die Alte verschwand.
»Wieso stellst du dir eigentlich keinen Regenbogen hin?«,
fragte Wanja.
»Wofür zum Kuckuck brauch ich so was?«
»Na, weil … Is schön groß. Sieht man besser.«
»Geht auch so.«
Sascha sah aus dem Fenster, lutschte Zucker und schlürfte
Tee. Wanja blickte hin und wieder zu ihr hinüber. Im Dorf bellten zwei Hunde.
Freundchen knurrte erst und fiel dann ein. Als die Hunde genug gebellt hatten,
verstummten sie. Freundchen winselte und jaulte, dann war auch er wieder still. Ein
Flugzeug flog vorüber.
Schweigend tranken sie ihren Tee und verspeisten den Turm.
»Na gut«, sagte Wanja und rieb sich das Knie. »Dann werd
ich mal wieder.«
»Willst du los?«, fragte Sascha und stand auf.
»Ich muss«, sagte er lächelnd. »Vielen Dank für den Tee.«
»Bitte.«
Wanja stand auf und ging zur Tür, nahm die Mütze vom
Haken, setzte sie auf, schob sie in den Nacken. Öffnete die Tür, tat einen Schritt
in den schummrigen Flur hinaus, Sascha kam hinterher. Plötzlich drehte Wanja sich
um, umarmte sie ungelenk. Sascha stand steif.
»Findest du, dass ich ein geiler Bock
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