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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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bin?«, fragte er.
    »Ich finde gar nichts«, antwortete Sascha und seufzte.
    Wanja versuchte sie zu küssen, doch sie wandte den Kopf
     ab. Er fasste sie bei der Wange.
    »Biste sauer?«, fragte er.
    »Nich doch.«
    »Was denn?«
    »Nix.«
    So standen sie eine Weile, Wanjas Hand an Saschas Wange.
     Freundchen auf dem Hinterhof knurrte.
    »Sascha.«
    »Was is?«
    »Soll ich heute kommen?«
    »Wie du magst.«
    Wieder versuchte Wanja sie zu küssen. Wieder drehte Sascha
     sich weg.
    »Was iss denn …« Er streichelte ihre Wange. »Was haste?«
    »Nix.«
    »Iss was mit Fjodor?«
    »I wo.«
    »Ruft er noch an?«
    »Ja.«
    Wanja seufzte schwer.
    »Fahr jetzt. Kommst sonst zu spät«, sagte Sascha.
    Er strich ihr über die Wange.
    »Dann bis heute Abend?«
    »Wie du magst.«
    Er lächelte ihr im Dunkeln zu, wandte sich ab, richtete seine
     Mütze.
    »Gut«, sagte er.
    Drehte sich um und ging hinaus auf die Treppe. Die Tür
     schloss sich hinter ihm. Sascha verharrte im Flur. Trat vor die kleine Tür zur
     Vorratskammer, legte die Hand auf den Riegel. Hörte Wanja husten und zum Motorrad
     gehen. Dann startete er. Freundchen fing an zu bellen. Sascha zog den Riegel nach
     oben. Das Motorrad fuhr davon. Freundchen hörte auf zu bellen. Sascha schob den
     Riegel nach links.
    In der Stube muhte kläglich ein Kalb.

[Menü]
    UNGNADE
    Herbstnebel, blind und morgengrau, belagerte die Ränder
     der Jaroslawler Trasse. Die Flüssiguhr am Armaturenbrett tropfte auf Punkt 8:16. Im selben Augenblick flammte ein
     kopekengroßer Sonnenkreis auf – daran zu erinnern, dass in diesem Moment irgendwo
     ostwärts, rechter Hand der dahinschießenden Böschung, jenseits der Nebelbänke,
     hinter der hie und da von löchrigen Kiefern durchstochenen schimmlig-aschgrauen
     Wolkenfront, hinter den in Trauerkeilen abziehenden Vögelschwärmen, hinter den
     Regenschleiern, die echte, die lebendige russische Sonne aufging. Und ein neuer Tag
     anbrach: der 23. Oktober 2028.
    Besser, er bräche gar nicht erst an!, dachte Komjaga,
     während er eine Zigarette hervorzog. Doch schon im nächsten Moment schalt er sich
     laut solch kleinmütiger Gedanken:
    »Genug gebarmt! Ein Opritschnik stirbt nicht vor dem Tod.«
    Wie der Alte in schicksalsschweren Minuten zu sagen
     pflegte. Das war sein Spruch. Und er hatte geholfen. Ob er ihn wohl auch jetzt in
     den Mund nahm, da es für ihn ums Ganze ging? Oder zog er es vor zu schweigen? Die
     schicksalsschwere Minute zog sich jedenfalls hin in zähen, salzigen Tropfen, wurde
     lang und länger, blähte sich zur Schicksalsstunde. Und war der Stundenkelch voll,
     lief er über, und aufdie Stunde folgte ein Tag, ein
     Schicksalstag, der rollte heran, schwappte über ihn wie eine Meereswoge. Die einen
     umriss, mit sich schleifte, zu schlucken drohte … Konnte einer das Maul aufmachen,
     wenn er unter einer haushohen salzigen Welle stand?
    Und ob man überhaupt dazu kommt, das ist noch die Frage,
     dachte Komjaga.
    Er hielt die Zigarette ans Armaturenbrett, eine kalte
     Flamme sprang hervor und entzündete sie. Komjaga sog den beruhigenden Rauch ein,
     ließ ihn durch den Schnauzbart wieder hervorströmen. Und drehte das fügsame Lenkrad
     nach rechts, fuhr ab von der Trasse. Passierte mehrere ringförmige Abfahrten. Reger
     Morgenverkehr. Vorbei an Hochhäusern, dann kamen Wälder, Siedlungen dazwischen.
     Minderbemitteltes Bürgertum: Hundegebell hinter schiefen Zäunen, räudige Katzen an
     sperrweit offenen Toren, Hähne mit mickrigen Stimmen zwischen Klettenbüschen.
     Neuerlich ein Abzweig nach links, durch Birkenwald, vorbei an verwüsteten Höfen,
     Brandstätten, drei rostigen chinesischen Traktoren – dann unversehens ein neues Dörfchen, gutsherrlich solide, und
     anschließend gleich noch eins, dahinter ein junger Kiefernforst und noch dahinter
     ein alter, sodann ein Acker, gepflügt, noch einer und noch einer, die Straße zog
     eine schnörkelige Schleife um einen Teich mit Enten und einem einzelnen Ganter, dann
     kam ein Wachturm, Buschholz, offensichtlich frisch gestutzt, und schließlich ein
     gediegener grüner Zaun, der Staat machte, mit einer Lichtschranke obenauf, festes
     Tor, fünf Meter breit.
    Komjaga bremste.
    Über dem Tor flackerte das grüne Sicherheitsauge. Der rote
     Merin eines Opritschniks in den Diensten des Gossudaren antwortete mit drei blauen
     Funkenblitzen. Das Tor ruckte, die Flügel fuhren auseinander. Und weiter rollteder Merin, einen schnurgeraden laubübersäten Weg

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