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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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entlang, durch
     dunstverhangenen Wald, dicht und unberührt, jahrhundertealt. Eine Werst weiter
     rückten die Eichen auseinander, und eine Lindenallee fing an, eine Orangerie mit
     blitzenden Scheiben tauchte auf und ein Springbrunnen, umstanden von weißen
     Marmorfiguren und beschnittenem Wacholder: Kegeln, Kugeln und Pyramiden, dann eine
     weite, immergrüne Rasenfläche mit zahllosen Granattrichtern sowie einer alten Eiche,
     von einem Volltreffer gnadenlos gespalten – und dahinter kam sie als weiß-rosa
     Hufeisen herangeschwebt in aller Pracht und Herrlichkeit, die Hausburg des Kirill
     Iwanowitsch Kubassow: Ex-Potentat, Favorit des Gossudaren und nunmehr, seit drei
     Monaten und acht Tagen schon, geächtet.
    Komjaga fuhr am Paradeeingang vor, stellte den
     400-PS-Motor ab, die gläserne Kanzel schob sich auf. Der Opritschnik war seinem
     treuen Gefährt noch nicht entstiegen, da kam der Haushofmeister die Treppen
     herabgetrippelt.
    »Seid willkommen, Andrej Danilowitsch! Hocherfreut,
     gnädiger Herr!«
    Der Hofmeister war betagt, aber rüstig. Mit seiner
     gold-olivgrünen Livree, den üppigen grauen Koteletten und dem geschniegelten
     Lärvchen machte er etwas her.
    »Grüß dich, Potap«, erwiderte Komjaga finster und warf die
     Kippe weg.
    »Wir hatten lange nicht mehr die Ehre, hab ich recht? Eine
     ganze Ewigkeit!«, stellte der Hofmeister fest und wackelte mit dem großen Kopf.
     »Erlaubt, dass ich Euer Wägelchen in die Garage bugsieren lasse.«
    »Ich komme nur kurz«, sagte Komjaga und zupfte an seinem
     schwarzen Kaftan.
    »Aber das Hundeköpfchen sollten wir vor den Krähen in
     Sicherheit bringen, die zerpicken es Euch im Nu!«
    »Na gut, schaff ihn weg.«
    Komjagas spähender Blick ging die Fassade des Hauses entlang, er
     strich sich den ansehnlichen Bart und begann die breite Freitreppe
     hinaufzuschreiten.
    »Filka!«, blaffte der Diener im Befehlston in seine
     Gürtelfernspreche, während er Komjaga hinterhereilte. »Schaff den Wagen des Herrn
     Opritschnik rein!«
    Derweil befleißigte er sich, mit einem Batisttuch den
     Staub von Komjagas Rücken zu wedeln.
    »Dieses Krähengezücht breitet sich aus heutzutage, man
     macht sich keinen Begriff. Schwarze Wolken! Kreisen und scheißen, scheißen und
     kreisen …«
    »Wo kommen die auf einmal her?«, fragte Komjaga und konnte
     ein nervöses Gähnen nicht unterdrücken.
    »Von den vielen unbestellten Feldern, Andrej Danilowitsch.
     Woher sonst, dero Gnaden? Bis nach Bolschewo rüber liegt doch alles brach! Die
     Bojaren haben keine Wintersaat ausbringen lassen, weil sie auf das neue Lastengesetz
     lauern. Am liebsten soll der Gossudar ihnen erlauben, ihre Anteile hemmungslos
     auszugliedern oder zu verpfänden, so hätten sie’s gern. Nur die Erbbauern und die
     Chinesen haben ausgesät dieses Jahr. So siehts aus bei uns auf dem Lande!«
    Das neue Lastengesetz, ach ja, dachte Komjaga trübselig
     und richtete seine von schlafloser Nacht angestrengten Augen auf die Tür aus
     Panzerglas, die lautlos vor ihm aufging. Der alte Schlamassel. Als ob wir jetzt
     keine anderen Sorgen hätten!
    Die Tür tat sich auf, und augenblicklich erstrahlte die
     riesige Eingangshalle im vollen Licht: die gewundenen Säulen, der Kronleuchter in
     Form einer ägyptischen Palme, die geschnitzte Decke, der Mosaikfußboden, die
     lebenden weißen Marmorlöwen und die zwei hünenhaften Türsteher in den gleichen
     olivgoldenen Livreen, wie Potap sie trug.
    »Wo steckt der Hausherr?«, fragte Komjaga, den Kaftan und die
     Mütze – schwarzer Velour, Zobelbesatz – in Potaps Arme werfend.
    Darunter trug er die rote Brokatjacke. Am Gürtel die
     Insignien der Opritschnina: Messer in kupferner Scheide, Pistole im hölzernen
     Holster. Geübt fuhr er sich mit der flachen Hand über das Haar, ohne den
     goldbepuderten Lockenschopf in der Mitte zu berühren.
    Die Marmorlöwen brüllten, Komjaga schenkte ihnen ein
     unfrohes Augenzwinkern. Schon wieder riss ihm ein Gähnen den Mund auf.
    »Wo steckt er denn nun, unser Kirill?«, fragte er.
    »Im Wasser. Der Herr belieben zu schwimmen.«
    Potap hatte die Garderobe des Opritschniks dem buckligen
     Kleiderkämmerer übergeben und trippelte an Komjaga vorbei über den Marmor. »Seit
     reichlich einem Monat, o Wunder, hat unser Patron, Gott schenk ihm Gesundheit, das
     Morgenschwimmen im kalten Wasser wieder lieb gewonnen!«
    Er schwimmt, der Fettsack!, dachte Komjaga neidisch,
     finster die Brauen hebend. Die Erde bebt,

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