Der zugeteilte Rentner (German Edition)
ein bisschen lächeln. Aber so, dass niemand es sähe.
„Ich wollte gerade Suppe holen!“
Doch Robert ignorierte ihren Einwand, packte sie am Handgelenk und schleppte sie auf die Tanzfläche. Für einen alten gebrechlichen Mann verfügte er über gewaltige Kräfte. Obwohl sie ihr Gewicht nach hinten verlagerte, um seiner Umklammerung auszuweichen, schien jede Flucht ausweglos.
„Wir tanzen langsam“, lächelte Robert und sein Gesicht legte sich in Falten. „In Ordnung?“
Noch bevor sie ein weiteres Wort herausbrachte, umschlang er sie mit seinen Armen und zog sie an sich. Jetzt lächelte er noch mehr. Seine Zähne leuchteten weiß, so perfekt, so rund, wie aus Porzellan. Clara konnte ihre Augen nicht mehr davon lassen.
„Die sind aus China!“
„Was?“
„Die wurden in China hergestellt. Beste Qualität. Kosten nur halb so viel wie hier.“
Zähne interessierten Clara nicht besonders. Für die Zahnmedizin brauchte man eine Zusatzausbildung. Und die kostete Geld, die sie nicht besaß. Außerdem waren Zähne ständig voller Bakterien und Keime. Ein menschliches Biotop, dem man selbst mit Zähneputzen nicht beikam.
„Und was macht Ihr Studium?“
„Geht voran!“
„Ich finde, Medizin passt nicht zu ihnen. Sie sollten eher Stewardess werden.“
Wieder offenbarte sein Lächeln das chinesische Gebiss. Daraufhin gingen seine Finger auf Wanderschaft. Sie krabbelten um die Hüfte, Finger für Finger, bis sie endlich die verbotenen Hügel erreichten, stiegen auf den Gipfel, dann schlossen sie sich zu zwei Teams mit jeweils fünf zusammen und rutschten zur verbotenen Schlucht herunter.
Clara erschrak. Waren das wirklich die Hände von Finns Vater an ihrem Hintern? Ihrem zukünftigen Schwiegervater? Was sollte sie tun? Er war ein alter Mann und Ältere brauchten nun mal Verständnis. Doch das fiel ihr immer schwerer. Sie war eine angehende Ärztin. Sie musste das medizinisch sehen. Einfach ruhig bleiben. Tief durchatmen. Und etwas lächeln. So leichte konnte das sein.
Im nächsten Augenblick stieß sie ihre Faust nach vorne, traf direkt in den Solar Plexus und beförderte Robert in die Knie. Er sackte zusammen. Sein Gebiss fiel heraus und er schnappte wie ein Goldfisch nach Luft. Da lagen seine Zähne. Made in China. Sie lächelten noch immer. Auch ohne ihn.
„Clara!“, brüllte Finn. „Bist du irre?“
Immer mehr Menschen umrundeten den alten Mann. Und jeder, der zu dieser Gruppe hinzu stieß, blickte sie mindestens einmal böse an. Selbst die Musik verstummte. Vermutlich die peinlichste Situation in der ein Mensch jemals war – sah man von Ex-Präsident Clinton ab.
„Sie hat versucht, Robert umzubringen!“, kreischte Katja und rannte zu ihrem Mann.
„Er hat mir an den Arsch gefasst!“
Aber Finn schüttelte nur den Kopf.
„Er ist ein alter Mann! Willst du ihn umbringen?“
„Aber er hat …“
„Am besten gehst du jetzt!“
Sollte Finn nicht auf ihrer Seite sein? Das Hochzeitspaar blickte sie an, als ob sie ihnen den schönsten Tag ihres Lebens ruiniert hätte. Dann marschierte sie aus dem Saal. Auf dem Weg nach draußen steckte sie sich ein paar Brötchen ein und zwei, drei von den leckeren kleinen Törtchen vom Dessert-Tisch. Die wollte sie sich nicht entgehen lassen. War doch jetzt sowieso alles gleich.
Grundsatz
Max saß bereits vor ihrer Tür. Er lehnte mit dem Rücken zur Wand, spielte mit dem Dackel und ignorierte Clara so lange, bis sie endlich vor ihm stand. Da saß er: ein kleiner trauriger Mann, der um Einlass bat. Sie hätte ihn beschimpfen können, ihn schlagen wegen all den Sachen, die er an dem Tag angestellt hatte: die Wäsche, das Kochen, das Aufräumen und wer weiß, was noch? Grund genug ihn rauszuwerfen und sich selbst zu überlassen. Die beiden sahen sich an. Sie hasste alte Männer. Sie waren böse und hinterhältig. Genauso wie Finns Vater. Clara fühlte sich schmutzig, am liebsten hätte sie jetzt eine Stunde lang geduscht, dann den Körper gepeelt und anschließend mit einem frisch desinfizierten Frottee-Tuch abgerubbelt. Doch zuerst musste sie sich um ihren unliebsamen Gast kümmern und anschließend warteten noch jede Menge Bücher darauf, von ihr durchforstet zu werden. Zum Glück hatte sie noch etwas Süßes von ihrem Beutezug.
Maximilian wirkte kaum glücklicher. Statt mit einem Spruch, versuchte er es mit einem Lächeln, das ihm aber sichtlich misslang und in einem verzerrten Mund endete. Clara öffnete die Tür und ging in die Wohnung. Maximilian schaute ihr hinterher,
Weitere Kostenlose Bücher