Der zugeteilte Rentner (German Edition)
verschwand die untere Serife des Buchstabens.
Wieder erklang das Geräusch der Schlagbohrmaschine, sie biss sich durch die Wände, entlang des Flurs, bis hinein in den Aufzug verfolgte es sie.
„Das ist ja furchtbar!“, meinte eine der Frauen.
„Was für ein Geräusch!“, die Andere.
„Wer macht nur so was?“, die Dritte.
Clara versuchte sich an einem Lächeln und zuckte mit den Schultern. Die alten Frauen wussten doch nicht, dass sie die Urheberin der Geräusche war.
„Man sollte nachsehen!“, meinte die erste der drei Frauen und steckte ihren Kopf aus dem Aufzug.
Doch in diesem Augenblick schloss sich die Tür. Die Frau erschrak, sprang zurück und der Aufzug setzte seine Fahrt nach unten fort.
„Da hast du noch mal Glück gehabt!“
„Hä’st deinen Kopf verlieren können!“
Die Drei schauten Clara an. Sie erwarteten von ihr eine Meinung, ein Kommentar, eine Frage oder sonst irgendetwas zu diesem Vorfall. Schweigen akzeptierten sie nicht. Jeder musste etwas sagen. Die Frauen kamen mit ihren Köpfen immer näher, blickten sie an, suchten ihr Gesicht nach einer Antwort ab.
„Ganz schön gefährlich!“, nuschelte Clara.
„Ja, ja, ja!“, schnatterten sie im gleichzeitig los.
Sofort begann ein hektisches Beklagen und Bejammern über den Zustand des Hauses, was erst aufhörte, als der Aufzug in Ebene „F – mit fehlender Serife“ – anhielt.
Sofort eilte Clara heraus, schnell vorbei an den Briefkästen, rechts um die Ecke und tief einatmen. Sie hasste enge Aufzüge, vor allem, wenn sie mit Nachbarn gefüllt waren. Doch jetzt wollte sie sich Schönerem widmen. Die zukünftige Freiheit ihrer Wohnung musste mit einem Schuss neuen Interieurs gefeiert werden. Als sie die Straße erreichte, fielen ihr sofort die verrücktesten Sachen ein, nach denen ihr Wohnzimmer verlangte. Ein Whirlpool für zwei? Vielleicht zu teuer. Eine Kuschelecke mit hundert Kissen? Schon eher. Eine kleine Bibliothek mit kuschligem Lesesessel? Auch gemütlich. Oder doch lieber eine Wellness-Ecke mit kuschligem Sofa und optimistischen Springbrunnen? Volltreffer. Fehlten nur noch die entsprechenden Möbel: Modell OLE für die Ecke am Fenster zum Preis von nur 19,99 Euro? Oder doch lieber HENDRIK für unters Fenster für den gleichen Preis? Ein neues Sofa müsste auch dazu: Entweder PUSTA oder HÖDEN oder VILLAN – alle 139 Euro – dabei sollte man die vorzügliche Integration von ROLLIG in jede Umgebung nicht vergessen. Wie ein Chamäleon passte es sich seiner Umgebung an, natürlich nur rein gefühlsmäßig, obwohl blau fast allen Möbeln stand. Und für 39 Euro war es fast geschenkt. Am besten wäre es, wenn sie sich ein neues Sofa holte. NOVOSIBIRSK strahlte in weiß – perfekt für jeden Designer-Loft, auch ideal für angehende Ärzte, aber zum Preis für Studenten. Das Sofa besaß die Sterilität eines Behandlungsraumes und die Nüchternheit eines Würfels – irgendwie anziehend. Oder doch lieber CYCLOSAND? Wenig Stoff – wenn überhaupt, dann in Grün – viel Metall. Clara erinnerte das 2er-Sofa an einen OP, kurz vor der Operation. Man setzte sich drauf, die Türen schlossen sich, dann die Narkose und man schlief ein – einfach himmlisch.
Für die Dekoration ihrer Wellness-Ecke brauchte Clara noch die entsprechenden Kissen, am besten HOLI: Lange Runde in leichtem Beige für das Sofa, die kantigen Dunkelgrauen für die Wände, die Runden zum Auslegen von optischen Unebenheiten – kosteten alle 30 Euro und ließen sich in der Maschine mitwaschen. Um sich so richtig zu entspannen, und damit war nicht eine einfache Standard-Entspannung gemeint, benötigte Clara das Heiligste unter den Kulturgütern: das passende Essgeschirr. Natürlich hatte sie sich schon eines herausgesucht, das ihr Wohlfühlambiente und gleichzeitig ihren Sinn für das Schlichte betonte. Es handelte sich dabei um DYRCK. Schon der Name erweckte bei ihr Bilder von tibetanischen Landschaften. DYRCK war einfach, keine Verschnörkelung, nichts Überflüssiges – einfach weiß. Es hatte etwas von Krankenhaus-Geschirr und erstrahlte in einer ähnlichen weiß-grau-gelblichen Krankenhausfarbe, wenn das Morgenlicht sich während der Visite an ihm brach. Die Kanne DYRCK II zählte zu den Highlights des 217teiligen Essgeschirrs, inklusive Besteck natürlich. Die Höhe betrug 17 cm. Fassungsvermögen: 1,25 Liter. Die Innenwände leuchteten in einem Elfenbein-Ton, manchmal sah es aber auch nach edlem Porzellan aus. Das komplette Essgeschirr befand sich in einem roten
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