Der zugeteilte Rentner (German Edition)
in einem anderen Zusammenhang. Keine drei Minuten später stürmten die ersten Polizisten eines Sondereinsatzkommandos durch den Flur, einer der Nachbarn floh – anscheinend wurde er tatsächlich gesucht – ein anderer ging auf die Beamten los, wurde aber von einem der Schäferhunde gebissen. Dann ebbte die Lärmwelle ab, die Stimmen verstummten zu einem gleichmäßigen Geplapper, hin und wieder schlug eine Tür zu, dann kehrte Stille ein. Kein Hämmern an die Wand, kein Geschrei im Flur.
Übergangsgeld
Grau. Der Himmel erdrückte die Stadt, selbst die Hochhäuser wirkten wie Säulen, die versuchten, der Last entgegen zu wirken. Der Horizont glühte, ein langes dünnes Licht, das die Existenz der Sonne bestätigte und den Einwohnern gleichzeitig klar machte, das es anderswo schöner war – ein typischer Herbsttag.
Der kleine Tommy saß auf seiner Parkbank. Um ihn herum lagen Dutzende Nüsse, alle für die Eichhörnchen.
„Ich hab eins gesehen!“, ächzte Maximilian und begrüßte seinen Freund.
„Der Hund“, meinte Tommy und zeigte auf den Dackel. „Die haben Angst vor ihm“.
Maximilian setzte sich neben ihn, der Hund wackelte seinem Herrchen hinterher, sprang auf die Parkbank und legte sich hin. Auf den anderen Bänken saßen ebenfalls Rentner, sie umrundeten den Park, hockten wie auf Tribünen und warteten darauf, dass im Zentrum das Schauspiel des Lebens aufgeführt würde. Die meisten schwiegen, starrten einfach nur nach vorne. Dann ging der Vorhang auf. Eine Mutter durchquerte mit ihrem Kind den Park. Das Kleine war kaum älter als sechs, eingepackt in dicke Klamotten, Fäustlingen und einer noch dickeren Mütze, die wie ein Turban auf dem Kopf thronte. Hätte man es aus ein Meter Höhe fallen lassen, wäre es wahrscheinlich wie ein Gummiballon davon gesprungen. Die ersten Rentner tuschelten bereits: Ein Junge oder ein Mädchen? Hatte jemand den Namen des Kindes gehört?
Als das Kleine ein Karussell entdeckte, rannte es der Mutter davon. Es hoppelte, schleuderte die Arme um sich herum und kam auf diese Weise vorwärts. Doch die Mutter lief schneller, überholte das Kind und packte es, noch ehe es das Karussell berührte.
„Schmutzig! Bah! Schmutzig ist das!“
Dann hob sie das Kind auf den Arm und verließ den Park. Das Kleine versuchte, sich aus der Umklammerung zu befreien und über Kopf und Schulter zu entkommen, doch es half nicht, die Mutter sicherte es wie ein Päckchen unter dem Arm. Zwei-, dreimal quiekte das Kind in der Ferne, dann verschwanden die beiden hinter einer Biegung.
Die Rentner schauten sich gegenseitig an. Einer zuckte mit den Schultern, stand auf und ging davon, ein anderer drehte sich zur Seite und las in seiner Zeitung, ein ganz anderer setzte sich auf einen Grabstein, packte seine Frühstücksbox aus und aß ein Brot. An Dienstagen passierte nichts Aufregendes. Mittwochs musste man herkommen, wenn die städtische Reinigungskolonne Müll einsammelte. Da gab es viel zu sehen und zu erzählen.
„Wenig Kinder hier!“, brummte Tommy.
„Hmm, wenige!“
Plötzlich lachte Tommy und zerknitterte seine Tüte.
„Ich werfe und werfe und merke gar nicht, dass sie schon leer ist.“
Er lächelte Maximilian an und wartete auf eine Reaktion, doch der alte Mann zwang sich zu einem Lächeln, damit er endlich von ihm abließ und sich anderen Dingen zuwandte.
„Ich werde alt!“
„Du bist alt!“
„Ja!“, seufzte Tommy, stand auf und trottete davon.
Änderung und Ende
Sie hatte ihn gesehen. Finn befand sich auf der anderen Straßenseite, als sie von der Uni kam. Er saß auf seinem Fahrrad und versteckte sich im Schatten eines Baumes. Für einen Augenblick hielt sie inne, schaute zu ihm herüber. Langsam setzte er sein Rad in Bewegung, rollte ihr ein paar Meter entgegen, um dann plötzlich die Bremse zu ziehen und stehen zu bleiben. Er schaute nach oben. 5. Stock. Maximilian stand am Fenster und winkte. Finn trat ins Pedal, warf ihr einen bösen Blick zu und raste die Straße davon. Beinahe wäre er in ein parkendes Auto gefahren, doch er wich aus, bog in die nächste Straße und verschwand.
Maximilian stand am Fenster und winkte. Dann holte er ein großes weißes Blatt hervor und auf dem stand: „Tee?“
Der alte Mann verhielt sich wie Bakterien. Eine sogar sehr widerstandsfähige. Ganz egal, welche antiseptischen Maßnahmen sie ergriff, er blieb. Das sagte er ihr natürlich nicht. Er nahm vielmehr den Telefonhörer in die Hand, sprach stundenlang mit den Auskunfts- und
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