Der zugeteilte Rentner (German Edition)
Freundin, mit der er angeblich noch immer zusammen lebte. Das Praktische: Er arbeitete als Elektriker. Ein richtiger Elektriker, mit schwerer Tasche und schwerem Arbeitsgerät. Obwohl er ziemlich süß und knuddelig aussah, trug er immer diesen blauen Overall, der ihm viel zu groß war. Er hatte ihn sich extra in Größe XXL bestellt, damit sein Po beim Bücken nicht herausschaute. Das funktionierte zwar, dafür sah er aber aus, als wäre er eingelaufen – von 2,30 m auf 1,50 m.
Clara rief ihn an. Er schien recht erfreut darüber, dass sie sich bei ihm meldete. Svend scherzte, redete von alten Zeiten – damit meinte er vermutlich die Woche, die sie gemeinsam verbrachten – und ließ anklingen, dass sie ihm noch viel bedeutete. Dafür, dass sie sich fast fünf Jahre lang nicht gesehen hatten, gab er sich sehr offen. Die Lösung fand sich sofort: Erst kürzlich hatte er sich von seiner Freundin getrennt – sie sei ihm zu fett geworden, angeblich hatte sie noch was mit einem Arzt – sie arbeitete im Krankenhaus – und dann kursierte da noch eine Krankheitsgeschichte, viele Andeutungen, nichts Konkretes, aber anscheinend schleppte seine Freundin sie an.
Clara brauchte nicht lange, um ihm zu erklären, wofür sie ihn einsetzte: ein wenig die Wand aufreißen, etwas Kabel raushängen lassen und fertig. Der Plan war so einfach, wie genial. Endlich wusste sie, wie sie Maximilian loswurde und Svend half ihr dabei.
Der Elektriker benötigte kaum eine Stunde, bis er vor ihrer Tür stand. In der Linken sein Werkzeugkoffer, in der Rechten ein Vorschlaghammer. Obwohl Svend aus Dänemark kam, erinnerte er kein bisschen an einen Nordländer. Er sah aus wie der jüngere Bruder von Danny Devito: klein mit wenig Kopfbehaarung, doch zumindest blond. Nur sein runder Bauch zog mehr Aufmerksamkeit auf sich als seine Glatze.
„Kommen Sie ruhig rein!“, begrüßte sie ihn und betonte das „Sie“ dabei besonders.
Svend breitete sich im Wohnzimmer aus. Er zog den Tisch zur Seite, montierte den Fernseher ab, verrückte die Couch, ohne Maximilian und seinen Hund zu entfernen, und schlug dann erst einmal ein großes Loch in die Wand.
Clara freute sich. Sie genoss es zuzusehen, wie Maximilian das Treiben beobachtete und sich dabei mit seinem Dackel einigelte. Bei jedem Schlag zuckten die beiden zusammen. Anschließend zog er die Decke über seine Beine und wickelte sich und den Hund ein. Dabei wirkte er wie ein Reh, das nicht fliehen konnte, die Augen weit geöffnet, unfähig zu begreifen, was um es herum geschah. Jeden Augenblick könnte er aufspringen, durch das Wohnzimmer hüpfen und sich in der Dunkelheit des Bads verlieren.
Svend griff zu seiner Schlagbohrmaschine.
„Gleich geht es los! Besser Sie gehen spazieren!“, meinte er und zwinkerte Clara zu.
Dann nahm sie ihren Mantel, ihre Tasche und verließ das Apartment. Als sie den Aufzug erreichte, ging die Bohrmaschine an. Mit einem quietschenden halb donnernden Geräusch fraß sie sich in die Wand, kam wieder heraus und schmetterte mit voller Wucht in die Steine. Zwischendrin erklangen Maximilians Rufe, der in aller Lautstärke versuchte, dem Handwerker etwas mitzuteilen.
Clara lächelte. Natürlich war das gemein, aber manchmal wirkte Unkraut am besten gegen Unkraut. Und eigentlich trug sie noch nicht einmal Schuld daran. Maximilian wollte doch den Handwerker. Jetzt war er da. Wie gewünscht.
Die Aufzugstür ging auf und offenbarte damit drei russisch aussehende Frauen. Sie waren alle um die fünfzig, plus minus zehn Jahre, was sich nur schwer bestimmen ließ, da sie die gleiche graubraune Kleidung trugen und anscheinend auch dieselbe Frisur bevorzugten: hoch, rund, lockig.
Zuerst zögerte Clara. Der Aufzug bot nicht viel Platz. Doch die Damen lächelten sie an und gingen etwas beiseite. Clara stieg ein. Zuerst trat sie einer der Frauen noch auf den Fuß, entschuldigte sich aber. Für vier Personen war der Raum einfach zu eng. Der Aufzug drückte die Hausbewohner aneinander, die gelbfarbigen Wände verstärkten diesen Eindruck. Wenn man lange genug draufstarrte, schien der Boden näher zu kommen – lag vermutlich an den Kratzern, die etwas Dreidimensionales, Hypnotisches bekamen. Außerdem roch es streng nach Kaffee und drei Sorten Parfüm. Die Mischung erinnerte an Mückenspray aus der Dose. Clara versuchte nicht unnötig zu atmen, lieber die Luft anhalten.
Die Tür schloss sich nicht.
Clara drückte den Knopf „F“ für Erdgeschoss – eigentlich „E“, aber mit der Zeit
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