Der zugeteilte Rentner (German Edition)
unten und verzog dabei das Gesicht, so als wollte sie ihr das nicht glauben, trotzdem blieb die Frage aus. Wer fragte, bekam unliebsame Antworten, beides wollte sie nicht.
„Ich muss auch schon wieder gehen“, lächelte Clara und stand auf. „Wollte nur mal kurz vorbeischauen. Hab heute noch so viele Termine. Du weißt ja: Wir sind die junge Generation. Von uns hängt alles ab.“
„Du hast gar nicht deinen Kaffee getrunken!“
Clara nahm die Tasse, blickte sie an, die braune Flüssigkeit, den Dreckrand.
„Noch zu heiß!“
Dann packte sie ihre Jacke, beugte sich zu ihrer Mutter herunter, um sie kurz zu drücken. Wieder eine der Gesten, die ihre Mutter mit Steifheit und ersetztem Gesichtsausdruck quittierte. Dann lief Clara zum Ausgang. Tür auf, noch mal winken, Tür zu.
„Wer war’n das?“, wollte Nike wissen.
„Ich … ich … ich glaub, das war’ne … ne … Freundin von Mama!“, zwängte Lars aus sich heraus.
Doch Claras Mutter trottete nur durchs Wohnzimmer und ließ sich auf dem Sofa nieder. Warum antworten? Sie blickte auf den Fernseher, aber ihre Augen waren leer, nichts drang durch zu ihr.
„Mama, wer war’n das?“
Die alte Frau nahm die Fernbedienung in die Hand und schaltete um.
Die Hand (Manus) nach Walthers Lexikon der Medizin Zum Greifen, Festhalten oder um Körperteile zu kratzen, die nicht leicht zu erreichen waren – die Hand ist das ideale Werkzeug für jede Situation. Sie besteht aus acht Handwurzelknochen, einer Mittelhand, vierzehn Fingerknochen sowie Sehnen, Muskeln und Nerven. Das Praktische: Sie ist fester Bestandteil des Körpers, lässt sich universell einsetzen und man muss sie nicht im Shopping-Kanal für 9,99 Euro bestellen. Die Hand benutzt der Mensch gern zum Greifen von Dingen, die er unbedingt haben will oder zum Festhalten, wenn er bestimmte Dinge schon besitzt und sie nicht mehr hergeben möchte. Wenn weder das eine noch das andere funktioniert, kann der Mensch die Hand auch zum Schlagen oder Kratzen verwenden, um an das zu kommen, wonach er sich sehnt. In diesem Fall wird die Hand auch gern als Faust bezeichnet. Außerdem lässt sie sich immer gut verstecken, vor allem in Hosentaschen – hier hält sie sich die meiste Zeit am liebsten auf.
Die Hand eines Kindes und die eines Erwachsenen unterscheidet sich wesentlich: Je älter, desto größer ist die Hand, denn mit dem Alter des Menschen wächst auch sein Verlangen nach Besitz.
Die Hand gehört immer dazu – praktisch die Grundausstattung des Menschen, ein Satz Hände, inklusive zehn Fingern, manchmal mehr, manchmal weniger. Vor allem der aufrechte Gang und die sich daraus ergebende Freistellung der Hand, bildete die Grundvoraussetzung der Menschwerdung und Kulturentwicklung. Der Mensch bekam die Hände frei, sich die Welt zu greifen.
Maximilian suchte nicht lange, schon fand er ihren Schlüssel. Er lag in der Tasche, die Clara am Vortag für ihre Bücher zum Transportieren genutzt hatte. Natürlich hätte er ihr beim Suchen helfen können, aber er war sauer auf sie. Er wohnte gern bei ihr, aber so Manches schlug ihm auf den Magen. Sie behandelte ihn wie ein Kind, wusste alles besser und machte ihm ständig sinnlose Vorschriften. Er war fünfundsechzig – was glaubte sie denn? So hatte er sich das Zusammenleben nicht vorgestellt, eher lustiger, harmonischer, netter. Wenn er ihr jetzt noch den verloren geglaubten Schlüssel übergäbe, wäre sie ihm vielleicht sogar dankbar, ein unerträgliches Gefühl. Stattdessen warf er ihren Schlüssel einfach aufs Bett und versteckte ihn unter einem Kissen. Wenn sie abends schlafen ginge, fände sie ihn schon.
Weißbrot war ungesund, klebte meistens am Gaumen, wenn man es nicht toastete und passte eigentlich zu keiner Mahlzeit – Clara liebte es. Bevorzugt aß sie Toast mit Butter und Chips, eine Kombination, die bei vielen Abscheu und Verwunderung hervorrief. Am zweitliebsten aß sie das Weißbrot mit Erdnussbutter und Honig. Es musste aber die Erdnussbutter mit den festen Stückchen sein – nicht die Zermahlene – die mit den Stückchen. Sie liebste es, wenn es beim Essen knackte, genauso wie beim Müsli.
Als sie gerade die Rückseite des Erdnussbutterglases las, stellte sie fest, dass nebenan ein riesiges Regal mit Marmelade und Konfitüre stand: Kirsche, Aprikose, Orange, Erdbeere, Waldbeere und auch Brombeere. Maximilian wollte, dass sie ihm Brombeermarmelade und Tee mitbrachte. Tee ging nicht. Wenn sie ihm jetzt Tee mitbrächte, wäre er vielleicht dankbar. Aber
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