Der zugeteilte Rentner (German Edition)
die Brombeermarmelade? Sie könnte die Hälfte wegschütten und einfach behaupten, ein Rest hätte im Kühlschrank gestanden, Maximilian war sowieso halbblind, selbst wenn welche drin gewesen wäre, er hätte sie nie gefunden. Wenn sie aber Brombeermarmelade kaufte, blieb ihr nicht genug Geld für die Erdnussbutter – und die war an diesem Tag im Angebot: einsneunundneunzig für das fünfhundert Gramm Glas aus Kolumbien. Am Preis konnte sie auch nichts mehr ändern. In manchen Geschäften gab es Etiketten, die sich austauschen ließen – hier nicht. Außerdem musste sie sich beeilen. Obwohl sie nicht zur Haupteinkaufszeit unterwegs war, füllte sich der Supermarkt. Vor allem an den Kassen verdichtete sich die Kundschaft zu einer wartenden, genervten und unfreundlichen Schlange mit hundert Köpfen. Sie wuchs, wandte sich durch Gänge und Regale und blockierte dadurch die restlichen freien Wege. Wie so oft war nur eine Kasse besetzt. Und Clara brauchte noch ein paar Reinigungsmittel.
Sofort packte sie die Marmelade in ihren Einkaufswagen und rollte Richtung Kasse. Doch genau in dem Augenblick blockierte eine ältere und stämmige Frau den Gang. Überholen konnte sie nicht und aus dem Weg gehen, wollte die andere Frau nicht. Sie blickte Clara einfach nur grinsend an und auf ihrer Stirn bildeten sich förmlich die Worte „Du kommst hier nicht vorbei! Du nicht!“ – eine Kriegserklärung sah kaum anders aus. Clara hasste es, wenn Menschen sich langsamer als sie bewegten. Noch mehr hasste sie es, wenn diese es auch noch absichtlich taten. Das machte sie nervös und vor allem aggressiv. Dann spürte sie dieses Prickeln, das von den Händen aufstieg und langsam in ihren Kopf vordrang. Vererbter Wahnsinn. Aber schlimmer noch: Die Frau füllte den Einkaufswagen bis zum Rand. Wenn sie sich vordrängte, endete Clara unweigerlich als Teil der großen Kassenschlange – und das bedeutete warten bis in alle Ewigkeit.
Clara zögerte nicht, bog sofort in den nächsten Gang, der sich ihr bot, raste am Ketchup vorbei, an den Kichererbsen entlang, die an diesem Tag im Angebot waren, stieß einen Turm aus Toilettenpapier um, rammte den Einkaufswagen einem Mann in die Ferse und erreichte schließlich vor der anderen Frau die Kasse. Dabei war sie so schnell, dass sie die andere Person nicht nur überholte, sondern förmlich mit ihrem Wagen wegrammte. Die Frau drehte sich mit ihrem Wagen, zischte ein paar Verwünschungen und fiel samt Einkaufswagen um. Sie stürzte auf eine Palette Rotwein in Pappverpackungen, rollte von dort herunter und kullerte schließlich auf dem Boden aus.
„Tschuldigung!“
Clara fuhr ihren Wagen sofort an die Kasse. Erst dann ging sie zurück und half der Frau auf die Beine.
„Sie Mistvieh!“, zischte die Frau. „Das haben sie extra gemacht!“
„Das tut mir wirklich leid, ich habe sie zu spät gesehen!“
Die Frau knurrte sie an, dann zeichnete sich ein kleines Lächeln am rechten Mundwinkel, den sie sofort verschwinden ließ.
„Lassen sie, es geht schon!“, brummte sie und stellte den Wagen auf. „Ich habe nicht aufgepasst!“
Clara wusste zuerst nicht, wie sie reagieren sollte, aber anscheinend hatte sie gerade erfolgreich ihr Revier verteidigt. Sie hatte sich Respekt verschafft. Am liebsten hätte sie gebrüllt und sich auf die Brust getrommelt.
Als sie nach Hause kam, verhielt Maximilian sich sehr ruhig. Der Fernseher lief, aber ansonsten ließ sich nichts Besonderes feststellen. Nur wenige Sachen lagen auf dem Boden, nichts befand sich am falschen Platz, nichts brannte oder war kurz davor. Der Rentner saß friedlich auf dem Sofa, streckte seine Beine aus und schaute sich eine Reportage über Brustverkleinerungen an.
Clara schlenderte in die Küche, zog aus ihrer Tasche die Brombeermarmelade und bereute im gleichen Augenblick, auf die Erdnussbutter verzichtet zu haben. Dann nahm sie einen Löffel, kratzte die Hälfte der Marmelade heraus und verstecke sie im Abfalleimer, schließlich positionierte sie den Rest der Süßspeise ganz hinten im Kühlschrank und stellte noch etwas davor. Maximilian bekam davon nichts mit, es war gerade Pause und er zappte von einem Sender zum nächsten. Sie war einfach zu schlau für ihn – sie wunderte sich nur, dass ihr verlorener Schlüssel auf dem Bett lag und das, obwohl sie alles am Morgen durchwühlt hatte.
Zuschläge oder Abschläge bei Versorgungsausgleich
Maximilian verschwand weder bei Lärm noch bei Dreck, selbst, wenn man ihm damit auf den Leib rückte.
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