Der Zusammenbruch
zwei Stunden, drei Schlauköpfe, die nicht mal wußten, was denn eigentlich los war, und ganz verschiedene Befehle gaben! Nein wahrhaftig, das war genug, um den lieben Gott selbst in Wut zu bringen und ihm den Mut zu nehmen! Und wieder wurden die verhängnisvollen Anschuldigungen von Verrat laut: Ducrot und Wimpffen verlangten ebensogut ihre drei Millionen von Bismarck wie Mac Mahon.
General Douay war allein vor seinem Stabe in einer unendlich traurigen Träumerei haltengeblieben; er hielt den Blick auf die preußischen Linien in der Ferne gerichtet. Lange beobachtete er den Hattoy, von dem her die Granaten zu seinen Füßen niederfielen. Nachdem er sich dann zur Hochebene von Illy gewandt hatte, rief er einen Offizier heran, um einen Befehl an die Brigade des fünften Korps zu überbringen,die er am Abend vorher vom General von Wimpffen verlangt hatte und die seine Verbindung mit dem linken Flügel General Ducrots darstellte. Und sie hörten ihn noch ganz deutlich sagen:
»Wenn die Preußen sich des Kalvarienberges bemächtigen, können wir uns hier keine Stunde länger halten, wir werden dann nach Sedan hineingedrängt.«
Beim Abreiten verschwand er mit seiner Begleitung an einer Biegung des Hohlweges, und das Feuer verdoppelte seine Stärke. Man hatte ihn offenbar bemerkt. Die Granaten, die bis dahin nur von vorn gekommen waren, fingen nun auch querüber von links her an zu regnen. Das waren die Batterien von Frenois und eine andere nahe der Halbinsel von Iges aufgestellte, die nun ihre Salven mit denen vom Hattoy kreuzten. Die ganze Algierhochebene wurde von ihnen bestrichen. Nun wurde die Lage der Kompanie furchtbar. Die Mannschaften, die sich bis dahin mit Beobachtung der Dinge vor ihnen beschäftigt hatten, fühlten nun diese neue Beunruhigung im Rücken und wußten nicht, wie sie sich ihr entziehen sollten. Schlag auf Schlag wurden drei Mann getötet und zwei heulten verwundet.
Jetzt fand nun auch der Sergeant Sapin den erwarteten Tod. Er hatte sich umgewendet, sah eine Granate kommen, konnte ihr aber nicht mehr ausweichen.
»Ah, da kommt's«, sagte er bloß.
Sein kleines Gesicht mit den schönen großen Augen sah nur tief traurig, aber nicht erschreckt aus. Sein ganzer Leib lag offen. Dann begann er zu jammern.
»Oh, laßt mich nicht hier, bringt mich doch zum Verbandplatz, bitte, bitte... bringt mich doch weg!«
Rochas wollte ihn zum Schweigen bringen. Ganz rohwollte er ihm zuerst sagen, daß man mit so einer Wunde den zwei andern Kameraden keine unnützen Scherereien mehr mache. Dann überkam ihn das Mitleid:
»Mein lieber Junge, warten Sie einen Augenblick, bis die Krankenträger kommen und Sie mitnehmen.«
Aber der Unglückliche fuhr fort; er weinte jetzt vor Kummer darüber, daß er den Traum seines Glückes mit seinem Blute dahinfließen fühlte.
»Bringt mich doch weg, bringt mich doch weg...«
Und Hauptmann Beaudouin, dem seine Klagen die so schon aufsässigen Nerven vollends in Aufruhr brachten, rief zwei Freiwillige vor, um ihn in ein kleines benachbartes Gehölz zu bringen, in dem sich ein fliegender Verbandplatz befinden mußte. Mit einem Satze waren Chouteau und Loubet, ehe die andern soweit waren, hochgesprungen und hatten den Sergeanten der eine bei den Schultern, der andere bei den Füßen gefaßt; und in raschem Trabe trugen sie ihn fort. Unterwegs fühlten sie aber, wie er steif wurde und mit einer letzten Zuckung seinen Atem aushauchte.
»Sag' mal, der ist ja tot,« sagte Loubet. »Wir wollen ihn liegen lassen.«
Chouteau drängte ihn wütend vorwärts.
»Willst du wohl laufen, Schafskopf! Ich werde den hier schon liegen lassen, daß sie uns gleich zurückholen!«
So setzten sie ihren Lauf mit dem Leichnam fort bis an das kleine Holz; hier warfen sie ihn am Fuß eines Baumes nieder und entfernten sich. Sie wurden vor Abend nicht wieder gesehen.
Das Feuer verdoppelte sich, die benachbarte Batterie war um zwei Stücke verstärkt worden; und in dem wachsenden Lärm bemächtigte sich Maurices Furcht, närrische Furcht.Zuerst hatte er den kalten Schweiß, dies schmerzhafte Schwächegefühl in der Magengrube, gar nicht gehabt, dies unwiderstehliche Bedürfnis, aufzustehen und heulend im Galopp von dannen zu rennen. Auch jetzt handelte es sich bei ihm zweifellos nur um eine Wirkung seiner Betrachtungen, wie man das wohl bei verfeinerten, nervösen Veranlagungen findet. Aber Jean hatte ihn beobachtet und packte ihn mit starker Hand; er hielt ihn stramm neben sich nieder, denn er
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