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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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las diese Aufwallung von Feigheit in dem Flackern seiner trübe werdenden Augen. Ganz leise schalt er ihn väterlich aus und versuchte mit heftigen Worten sein Schamgefühl zu erwecken, denn er wußte, daß man den Leuten mit Fußtritten wieder Mut einflößen kann. Auch andere zitterten so. Pache standen die Augen voller Tränen, und er jammerte unwillkürlich leise vor sich hin wie ein Kind, das sein Weinen nicht unterdrücken kann. Lapoulle hatte ein Unglück; sein Eingeweide entlud sich derartig, daß er die Hosen herunterriß, ehe er die benachbarte Hecke gewinnen konnte. Man verulkte ihn und warf ihm Hände voll Erde vor die Blöße, die er Kugeln und Granaten preisgab. Viele wurden von ihm angesteckt und erleichterten sich unter tollen Scherzen, die allen wieder Mut machten.
    »Verdammter Feigling!« sagte Jean wieder zu Maurice, »du willst doch wohl nicht krank werden wie die da... Ich haue dir eine in die Fresse, wenn du dich nicht gut hältst.«
    Durch dies Anschnauzen machte er ihn wieder warm, als sie plötzlich in vierhundert Metern vor sich etwa zehn in dunkle Uniformen gekleidete Leute aus einem kleinen Holz herauskommen sahen. Das waren also endlich die Preußen, und sie erkannten nun auch ihre Pickelhauben, die ersten Preußen, die sie seit Beginn des Feldzuges auf Schußweite ihrer Gewehrezu sehen bekommen hatten. Andere Züge folgten dem ersten, und vor ihnen sah man kleine Staubwölkchen, die die Granaten vom Boden auffegten. Alles das war klar und scharf, die Preußen standen in feinster Deutlichkeit gezeichnet wie kleine, gut geordnete Bleisoldaten vor ihnen. Als die Granaten dann stärker zu regnen begannen, zogen sie sich zurück und verschwanden von neuem hinter den Bäumen.
    Aber die Kompanie Beaudouin hatte sie gesehen und sah sie dort immer noch. Die Chassepots gingen von selbst los. Maurice brannte seinen zuerst los. Jean, Pache, Lapoulle, alle kamen ihm nach. Es gab keine Ordnung mehr, der Hauptmann wollte das Feuer stopfen; und er ließ erst auf eine kräftige Bewegung Rochas' davon ab, die besagen sollte, sie hätten diesen Trost nötig. Endlich schossen sie also und verwendeten ihre Patronen, die sie seit einem Monat herumschleppten, ohne eine einzige abzubrennen. Maurice vor allen wurde wieder munter, da seine Angst in diesen Entladungen Beschäftigung fand und durch sie betäubt wurde. Der Rand des Gehölzes blieb stumm; kein Blatt rührte sich, kein Preuße kam wieder zum Vorschein; und sie feuerten immer weiter auf die unbeweglichen Bäume.
    Als er dann den Kopf hob, war er erstaunt, in ein paar Schritt Entfernung den Oberst von Vineuil auf seinem großen Pferde halten zu sehen. Mann und Roß unerschütterlich, wie von Stein. Das Gesicht dem Feinde zugekehrt, hielt der Oberst im Kugelregen. Die ganzen 106er mußten sich hier befinden, denn andere Kompanien lagen in den benachbarten Feldern, und das Gewehrfeuer nahm mehr und mehr zu. Und der junge Mann sah auch etwas weiter zurück die Fahne in dem starken Arm ihres Trägers, des Unterleutnants. Aber das war nicht länger das von den Morgennebelndurchtränkte Gespenst einer Fahne. In der brennenden Sonne strahlte der goldene Adler, die dreifarbige Seide leuchtete in lebhaften Tönen trotz der ruhmreichen Abnutzung durch viele Schlachten. Unter dem strahlend blauen Himmel flatterte sie im Winde des Geschützfeuers wie eine wahre Siegesfahne.
    Warum sollten sie nicht siegen, nun sie sich endlich schlugen? Und Maurice und alle andern verbrannten wütend ihr Pulver im Feuer auf das entfernte Gehölz, in dem langsam und schweigend ein Regen von kleinen Zweigen niederfiel.
     

3.
    Henriette konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Der Gedanke, ihren Mann in Bazeilles so nahe den preußischen Linien zu wissen, quälte sie. Vergeblich wiederholte sie sich, daß er ihr ja versprochen habe, bei den ersten Anzeichen von Gefahr wiederzukommen; alle Augenblicke spitzte sie das Ohr und glaubte ihn zu hören. Als sie sich gegen zehn Uhr hinlegen wollte, öffnete sie das Fenster; sie lehnte sich hinaus und vergaß alles um sich her.
    Die Nacht war sehr dunkel; sie konnte kaum das Pflaster in der Rue des Voyards erkennen, einem engen, zwischen alten Häusern eingepferchten Gange. Nur weit weg nach der Schule hinüber sah sie den dunstumhüllten Stern einer Gaslaterne. Der salpetrige Dunst von Kellerräumen stieg empor, dann das Miauen einer wütenden Katze, dumpfe Schritte eines umherirrenden Soldaten. Aber in ganz Sedan, hinter ihr, ertönten

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