Der Zusammenbruch
Schutz, als sich recht klein zu machen. Nicht mal den Trost, die Trunkenheit, sich durch Gewehrfeuer zu betäuben; denn auf wen sollten sie schießen? Sie sahen ja noch immer keine Menschenseele an dem leeren Horizont.
»Fangen wir denn nicht endlich an zu schießen?« sagte Maurice immer wieder ganz außer sich. »Hundert Sous würde ich geben, wenn ich einen sehen könnte. Das ist ja zumVerzweifeln, so beschossen zu werden und nicht antworten zu können.«
»Warte, das kommt wohl noch«, sagte Jean friedlich.
Aber ein Galopp zu ihrer Linken ließ sie den Kopf drehen. Sie erkannten General Douay, der von seinem Stabe gefolgt herankam, um sich von der Festigkeit seiner Truppen unter dem furchtbaren Feuer von Hattoy her zu überzeugen. Er schien befriedigt und gab einige Befehle, als seitlich aus einem Hohlwege der General Bourgain-Desfeuilles auch noch dazukam. Dieser letztere, der reine Hofsoldat, trabte inmitten des Geschoßhagels unbekümmert dahin; er hatte den Kopf voll von seinen afrikanischen Angewohnheiten und hatte nichts zugelernt. Er schrie und gebärdete sich wie Rochas.
»Ich erwarte sie, jeden Augenblick erwarte ich sie Mann gegen Mann.«
Dann erkannte er General Douay und ritt auf ihn zu.
»Herr General, ist das wahr, die Verwundung des Marschalls?«
»Ja, unglücklicherweise... Ich bekomme gerade eben einen Brief von General Ducrot, in dem er mir schreibt, der Marschall habe ihn als den bezeichnet, der den Oberbefehl der Armee übernehmen soll.«
»Oh! Also General Ducrot ist es... Und was sind seine Befehle?«
Der General machte eine verzweifelte Handbewegung. Seit gestern fühlte er, daß das Heer verloren sei; vergeblich hatte er darauf gedrungen, die Stellungen von Saint-Menges und Illy zu besetzen, um sich den Rückzug auf Mézières zu sichern.
»Ducrot nimmt unsern Plan wieder auf, alle Truppen sollen sich nach der Hochebene von Illy zusammenziehen.«Und er wiederholte seine vorige Bewegung, wie um anzudeuten, daß es zu spät sei.
Der Lärm der Geschütze verschlang seine Worte, aber ihr Sinn gelangte doch ganz klar zu Maurices Ohren, der darüber ganz verstört war. Was? Marschall Mac Mahon verwundet, General Ducrot an seiner Stelle Oberbefehlshaber, das ganze Heer auf dem Rückzuge nach dem Norden von Sedan? Und von diesen ernsten Tatsachen wußten die armen Teufel von Soldaten, die sich hier totschlagen ließen, nichts! Und dies schreckliche Spiel baute sich also nach der Laune einer neuen Leitung auf dem Gelingen eines Zufalls auf! Er fühlte, wie die Truppen ohne Führer, ohne Plan, in jedem Sinne »aufgezogen«, in Verwirrung, in endgültige Unordnung verfielen; die Deutschen dagegen gingen in ihrer Geradheit unverrückt auf ihr Ziel los, mit uhrwerkmäßiger Genauigkeit. General Bourgain-Desfeuilles hatte sich schon wieder entfernt, als General Douay, der gerade eine neue Meldung von einem mit Staub bedeckten Husaren erhielt, ihn heftig zurückrief.
»Herr General! Herr General!«
Seine Stimme klang vor Überraschung und innerer Bewegung so laut, so donnernd, daß sie den Lärm der Artillerie übertönte.
»Herr General, Ducrot befiehlt nicht mehr, Wimpffen ist es! Ja, er ist gestern mitten in die Flucht von Beaumont hineingekommen und hat de Failly als Führer des fünften Korps ersetzt... Er schreibt mir, er habe einen Brief aus dem Kriegsministerium erhalten, der ihn für den Fall, daß der Oberbefehl frei werde, an die Spitze der Truppen stelle... Es geht nicht weiter zurück; der Befehl lautet, unsere ersten Stellungen wieder zu nehmen und zu behaupten.«
General Bourgain-Desfeuilles hörte mit großen runden Augen zu.
»Herrgott nochmal! das hätten wir doch wissen müssen!« sagte er endlich. »Mir ist's übrigens wurscht!«
Und er jagte davon, wirklich im Grunde ganz unbekümmert, denn er sah den Krieg nur als ein Mittel an, um schleunigst Divisionsgeneral zu werden, und beeilte sich nur, damit dieser dumme Feldzug möglichst rasch zu Ende ginge, da er ja so wie so recht wenig zur Zufriedenheit der ganzen Welt ausfiel.
Da brach unter den Leuten der Kompanie Beaudouin ein mächtiges Gelächter los. Maurice sagte nichts, aber innerlich stimmte er mit Loubet und Chouteau überein, die ihrer Verachtung durch Spott Luft machten. Hü! Hott! lauf', wohin's dir paßt! So also verstanden sich die Führer untereinander! Sie steckten alle unter einer Decke. Wäre es nicht das beste, man legte sich hin und schliefe, wenn man solche Führer hatte? Drei Oberbefehlshaber in
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