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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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alle aus, als ob sie verrückt wären! Und immer neue Leute kommen, und die Türen werden geschlagen und die Menschen werden ärgerlich und manche heulen, und es geht im Hause zu wie bei einer Plünderung, die Offiziere trinken aus der Flasche und liegen mit den Stiefeln in den Betten!... Ganz gewiß, der Kaiser ist noch der Höflichste und nimmt am wenigsten Platz ein in seiner Ecke, wo er sich versteckt und jammert.« Als Henriette dann ihre Frage wiederholte:
    »Wo sie fechten? Das ist Bazeilles, da schlagen sie sich seit heute morgen... Ein Soldat zu Pferde kam und sagte dem Marschall Bescheid, und der ist gleich zum Kaiser gegangen und hat es ihm erzählt... Vor zehn Minuten ist der Marschall fortgeritten, und ich glaube wohl, der Kaiser will ihn treffen, denn er zieht sich da oben an... Ich habe einen Augenblick gesehen, wie sie ihn mit allen möglichen Geschichten im Gesicht bemalten und aufputzten.«
    Aber Henriette wußte nun, was sie wollte, und entschlüpfte ihr.
    »Danke schön, Rosa! Ich habe große Eile.«
    Und das junge Mädchen begleitete sie bis auf die Straße und rief ihr noch freundlich nach:
    »Ganz zu Ihren Diensten, Frau Weiß. Ich weiß wohl, daß ich Ihnen alles sagen darf.«
    Rasch ging Henriette wieder nach ihrer Wohnung in der Rue des Voyards zurück. Sie war überzeugt, sie würde ihren Mann dort schon vorfinden; sie dachte sogar, er würde, wenn er sie nicht in der Wohnung fände, sich beunruhigen, und das beschleunigte ihren Schritt noch mehr. Als sie sich dem Hause näherte, hob sie den Kopf und glaubte auch ihn sich oben zumFenster herauslehnen zu sehen, um ihre Rückkehr abzuwarten. Aber das immer noch weit offene Fenster war leer. Und als sie dann nach oben gegangen war und einen Blick in alle drei Zimmer geworfen hatte, blieb sie wie gebannt stehen; das Herz schnürte sich ihr zusammen, als sie sie bei dem fortdauernden Kanonengebrüll nur von eisigem Nebel angefüllt fand. Das Geschieße dort hinten ging immer weiter. Einen Augenblick trat sie wieder ans Fenster. Nun sie Bescheid wußte, gab sie sich, trotzdem der Morgennebel immer noch wie eine undurchdringliche Mauer dastand, bei dem Krachen der Mitrailleusen und dem Getöse der Salven der französischen Batterien, die auf die entfernten der deutschen antworteten, ganz klar Rechenschaft darüber, daß der Kampf in Bazeilles stattfand. Es war, als ob die einzelnen Knalle näher kämen und die Schlacht sich von Minute zu Minute steigerte.
    Warum kam Weiß nur nicht wieder? Er hatte ihr so fest versprochen, beim ersten Angriff heimzukommen. Und Henriettes Unruhe wuchs, sie malte sich Hindernisse aus, wie die Straße abgeschnitten wäre und die Granaten den Rückweg zu gefährlich machten. Vielleicht war ihm auch ein Unglück zugestoßen. Diesen Gedanken scheuchte sie von sich, da sie nur in der Hoffnung eine feste Stütze für ihre Tatkraft fand. Dann überlegte sie einen Augenblick den Plan, hinunterzugehen, ihrem Manne entgegen. Aber ein Gefühl von Unsicherheit hielt sie zurück: vielleicht würden sie sich kreuzen; und was sollte aus ihr werden, wenn sie ihn verfehlte? Und wie würde er seinerseits sich quälen, wenn er heimkäme und sie nicht fände? Im übrigen aber erschien ihr das Tollkühne eines Ganges nach Bazeilles gerade jetzt vollständig natürlich, ohne jedes unangebrachte Heldentum; es paßte durchaus zu ihrer Auffassung der Tätigkeit einer Frau, die schweigendvollbrachte, was ihr für den richtigen Gang ihres Haushaltes nötig erschien. Sie gehörte einfach dorthin, wo ihr Mann war.
    Aber da machte sie ganz unvermittelt eine Bewegung, und während sie vom Fenster zurücktrat, sagte sie ganz laut: »Aber Herr Delaherche ... den muß ich erst sehen ...« Es kam ihr wieder ins Gedächtnis, daß ja auch der Tuchfabrikant in Bazeilles geschlafen hätte und daß sie von ihm, falls er schon zurück wäre, Auskunft erhalten könnte. Anstatt wieder durch die Rue des Voyards zu gehen, schritt sie über den engen Hof des Gebäudes, der einen Durchgang für die weiten, mit ihrer Hauptseite nach der Rue Macque hinausgehenden Fabrikgebäude bildete. Als sie in den früheren Garten des Mittelhofes hinaustrat, der jetzt gepflastert war und nur noch einen von prächtigen, riesenhaften Ulmenbäumen aus dem vorigen Jahrhundert umgebenen Rasen aufwies, da sah sie zu ihrem Erstaunen als erstes einen vor der geschlossenen Tür eines Wagenschuppens auf und abgehenden Posten; dann erinnerte sie sich, gestern gehört zu haben, die

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