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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Gesicht an ihrer Schulter:
    »Ja, ich merkte wohl, du wüßtest es, du hättest ihn gesehen ... Liebste, du mußt nicht so streng über mich urteilen. Er ist doch ein alter Freund von mir, ich hatte dir doch damals in Charleville meine Torheit gestanden, weißt du noch ...«
    Ihre Stimme wurde noch leiser, und sie fuhr mit einer Art Rührung fort, aus der aber doch ein leises Lachen klang:
    »Er bat mich gestern so, als ich ihn wiedersah ... Denk' mal, heute morgen muß er sich schlagen, und am Ende bringen sie ihn um ... Konnte ich es ihm da abschlagen?«
    In ihrer gerührt-fröhlichen Stimmung gewann dies letzte Liebesgeschenk, diese am Abend vor der Schlacht gewährte selige Nacht einen Anstrich entzückender Tapferkeit. Das war's, worüber sie trotz ihrer Verwirrung mit der Unbesonnenheit eines kleinen Vogels lächelte. Sie hätte es nie übers Herz gebracht, ihre Tür abzuschließen, wo alle Umstände ein Wiedersehen so förderten.
    »Verdammst du mich?«
    Henriette hatte sie sehr ernst angehört. Diese Geschichten kamen ihr so überraschend vor, weil sie sie gar nicht verstand.Seit dem frühen Morgen schlug ihr Herz nur für ihren Mann, ihren Bruder da hinten im Kugelregen. Wie war es nur möglich, so friedlich zu schlafen, sich derartig an diesen Liebesgeschichten zu erfreuen, während die geliebtesten Wesen sich in Gefahr befanden?
    »Aber dein Gatte, Liebste, und der Mensch da auch, dreht sich dir denn nicht das Herz im Leibe herum, daß du nicht bei ihnen sein kannst? ... Denkst du denn gar nicht daran, daß sie dir jede Minute mit zerschmettertem Kopfe wiedergebracht werden können?«
    Gilberte scheuchte dies Schreckbild mit ihrem entzückenden nackten Arme von sich.
    »O Gott! Was sagst du da? wie häßlich von dir, mir den Morgen so zu verderben! ... Nein, nein, ich will nicht daran denken, das ist zu traurig!«
    Wider Willen mußte nun Henriette selbst lachen. Sie mußte an ihre Kinderzeit denken, als Gilbertes Vater, der Major von Vineuil, der infolge schwerer Verwundungen zum Zolldirektor von Charleville ernannt worden war, seine Tochter auf einen kleinen Hof nahe bei Chêne-Populeur geschickt hatte und sich immer schon beunruhigte, wenn er sie nur husten hörte, da er ständig von dem Gedanken an den Tod seiner ihm durch die Lungenschwindsucht in aller Jugend entrissenen Frau gepeinigt wurde. Die Kleine war erst neun Jahre, aber bereits von einer wilden Gefallsucht; sie spielte Theater, wollte stets die Königin darstellen, wickelte sich in jeden alten Plunder, den sie auftreiben konnte, und hob alles Silberpapier von ihrer Schokolade auf, um sich Armbänder und Kronen daraus zu machen. Auch später war sie immer die gleiche geblieben, als sie mit zwanzig Jahren den Forstinspektor Maginot heiratete. Das in seine Wälle eingeengteMézières mißfiel ihr und sie blieb in Charleville wohnen, dessen großes Leben mit seinen heitern Festlichkeiten sie liebte. Ihr Vater war nicht mehr, sie erfreute sich gänzlicher Freiheit bei ihrem bequemen Gatten, dessen Nichtigkeit keine Gewissensbisse in ihr hochkommen ließ. Die Bosheit der Provinz schrieb ihr bereits viele Liebhaber zu; in Wirklichkeit hatte sie sich aber in dem Gewirr von Uniformen, in dem sie dank alter Beziehungen und der Verwandtschaft ihres Vaters mit dem Obersten von Vineuil lebte, nur mit dem Hauptmann Beaudouin eingelassen. Sie war innerlich weder liederlich noch verdorben, sondern liebte nur ihr Vergnügen; und sie glaubte ganz bestimmt, daß, wenn sie sich einen Liebhaber nähme, sie damit nur ihrem unwiderstehlichen Hang nach Schönheit und Vergnügen nachgäbe.
    »Es ist sehr schlecht von dir, daß du wieder mit ihm angebunden hast«, sagte Henriette endlich in ihrer ernsten Weise.
    Gilberte schloß ihr schon den Mund mit einer ihrer reizenden, liebkosenden Bewegungen.
    »Ach, Liebste! wenn ich aber doch nicht anders konnte, und wo es doch nur dies einzige Mal ist ... Du weißt, ich würde lieber sterben, als meinen jetzigen Mann betrügen.«
    Keine von beiden sprach mehr, sie hielten sich in einer zärtlichen Umarmung umschlungen, so tiefe Unterschiede sie auch in ihrem Innersten trennten. Sie hörten ihre Herzen aneinander schlagen und hätten sich auch verstanden, hätten sie fremde Sprachen gesprochen, die eine ganz Freude, sich ausgebend, zersplitternd, die andere ganz versenkt in ihre einzige Hingebung, ihr stummes Heldentum starker Seelen.
    »Wahrhaftig, sie schlagen sich!« rief endlich Gilberte. »Ich muß mich schnell

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