Der Zusammenbruch
Liebste, wenn man bedenkt, daß sie einem da was abschneiden könnten!«
»Die armen Menschen!«
Bouroche hatte gerade eine Matratze auf den großen Tisch legen und sie mit Wachstuch umkleiden lassen, als das Getrappel von Pferden unter dem Torwege hörbar wurde. Das war die erste Verwundetenfuhre, die im Hofe eintraf. Sie enthielt aber nur zehn Leichtverwundete, die sich, meist mit einem Arm in der Binde, gegenübersaßen; einige waren auch am Kopfe getroffen und trugen die Stirn umwunden. Sie brauchten nur etwas Hilfe beim Aussteigen, und die Untersuchung begann.
Als Henriette einem sehr jungen Soldaten, dem eine Kugel die Schulter durchbohrt hatte, vorsichtig beim Ausziehen seines Rockes half, wobei ihm ein Schrei entfuhr, bemerkte sie seine Regimentsnummer.
»Ach, Sie sind 106er! Sind Sie von der Kompanie Beaudouin?«
Nein, er gehörte zur Kompanie Ravaud. Aber den Korporal Jean Macquart kannte er trotzdem und glaubte sagenzu können, seine Korporalschaft sei bisher noch nicht eingesetzt. Wenn diese Auskunft auch recht unbestimmt war, so war es doch genug, um der jungen Frau Freude zu machen: ihr Bruder lebte, und sie würde sich ganz getröstet fühlen, wenn sie nur erst ihren Gatten umarmen könnte, den sie immer noch von Minute zu Minute erwartete.
Als Henriette in diesem Augenblick den Kopf hob, packte es sie, denn sie sah Delaherche ein paar Schritte von ihr entfernt in einer Gruppe stehen, der er von den furchtbaren, auf dem Wege von Bazeilles bis Sedan ausgestandenen Gefahren erzählte. Wie kam er hierher? Sie hatte ihn nicht hereinkommen sehen.
»Und mein Mann ist nicht bei Ihnen?«
Aber Delaherche, den seine Mutter und seine Frau, um ihm einen Gefallen zu tun, ausfragten, hatte keine Eile.
»Warten Sie, gleich.«
Und dann nahm er seine Erzählung wieder auf:
»Von Bazeilles bis Balan bin ich unendlich oft beinahe totgeschossen worden. Ein Hagel, ein Orkan von Kugeln und Granaten! ... Und ich habe den Kaiser getroffen, oh! der war sehr tapfer ... Schließlich bin ich von Balan bis hier glatt gerannt ...«
Henriette schüttelte ihn am Arm.
»Mein Gatte?«
»Weiß? Weiß ist doch da draußen geblieben!«
»Was? dort draußen?«
»Ja, er hat sich das Gewehr eines toten Soldaten geholt und kämpft mit.«
»Er kämpft mit? Warum denn aber?«
»Ach, so ein Wüterich! Er wollte unter keinen Umständen mitkommen, und da habe ich ihn natürlich dagelassen.«
Henriette sah ihn mit starren, großen Augen an. Alles schwieg. Da faßte sie ruhig einen Entschluß.
»Schön, dann gehe ich hin.«
Was? Dort wollte sie hingehen? Aber das war ja unmöglich, das war verrückt. Delaherche fing wieder an, von den über die Straßen fegenden Kugeln und Granaten zu reden. Gilberte ergriff ihre Hände, um sie festzuhalten, und auch Frau Delaherche erschöpfte sich in Beweisen für die blinde Tollkühnheit ihres Planes. In ihrer sanften, einfachem Art wiederholte sie nur:
»Nein, das nützt nichts, ich gehe hin.«
Dabei blieb sie und nahm nur das schwarze Spitzentuch an, das Gilberte auf dem Kopfe hatte. Delaherche, der sie immer noch zu überzeugen hoffte, erklärte schließlich, er wolle sie begleiten, wenigstens bis zum Tor nach Balan. Aber da bemerkte er gerade den Posten, der in allem durch die Einrichtung des Lazarettes verursachten Gedränge immer weiter mit kleinen Schritten vor dem Schuppen auf und ab ging, in, dem sich die Kriegskasse des siebenten Korps eingeschlossen befand; voller Furcht dachte er an diese Millionen und ging, um sich durch Augenschein zu vergewissern, daß sie auch noch da wären. Henriette stand schon unter, dem Torweg.
»Warten Sie doch auf mich! Sie sind wahrhaftig gerade so ein Wüterich wie Ihr Mann!«
Es kam übrigens gerade wieder ein Wagen mit Verwundeten herein, den sie erst vorbeilassen mußten. Dieser war kleiner und enthielt zwei Schwerverwundete, die auf Gurtmatratzen gebettet waren. Der erste, den man mit aller erdenklichen Vorsicht herabhob, bildete nur noch eine blutige Fleischmasse; eine Hand war zerrissen, eine Seite durch eine platzende Granate aufgerissen. Dem zweiten war das rechteBein zerschmettert. Diesen ließ Bouroche sofort auf das Wachstuch der Matratze legen und begann die erste Operation inmitten des unaufhörlichen Kommens und Gehens seiner Gehilfen und der Lazarettgehilfen. Frau Delaherche und Gilberte saßen neben dem Rasen und wickelten Binden auf.
Delaherche hatte Henriette draußen wieder eingeholt.
»Aber meine liebe Frau Weiß, sehen Sie
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