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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Soldaten des ersten Korps zurückgelegt hatten, das die Sachsen auf das rechte Ufer des Baches zurückdrängten; und wie sie durch den Hohlweg des Givonnegrundes bereits in einem derartigen Gedränge geritten wären, daß, selbst wenn der Kaiser an die Spitze seiner Truppen hätte zurückkehren wollen, er dies nur mit größter Schwierigkeit hätte ausführen können. Wozu übrigens auch?
    Während Delaherche diese Einzelheiten erzählen hörte, erschütterte ein heftiges Krachen das ganze Viertel. Eine Granate hatte in der Rue Sainte-Barbe, nahe beim Donjon, einen Schornstein herabgerissen. Ein allgemeines Rette-sich-wer-kann folgte und laute Schreie von Frauen ertönten. Er drückte sich gegen eine Mauer, als ein zweiter Krach alle Fensterscheiben des Hauses neben ihm zerschmetterte. Wenn Sedan beschossen würde, müßte es furchtbar werden; und er kehrte im Laufschritt zur Rue Macqua zurück; ein derartiger Drang nach Gewißheit packte ihn, daß er sich nirgends aufhielt, sondern schleunigst aufs Dach stieg, wo eine kleine Plattform ihm einen Überblick über die Stadt und ihre Umgebung gewährte.
    Er fühlte sich sofort etwas sicherer. Der Kampf fand außerhalb der Stadt statt; die deutschen Batterien auf der Marfée und bei Frénois fegten über die Stadt weg die Algierhochebene; selbst der Flug der Granaten mit dem riesigen Bogen leichten Rauches, den sie über Sedan stehen ließen, erregte seine Teilnahme, und sie kamen ihm vor wie unsichtbare Vögel mit grauem Gefieder. Es war ihm nun zunächst ganz augenscheinlich, daß es sich bei den paar Granaten, die auf den Dächern um ihn herum geplatzt waren, nur um verirrte Geschosse handelte. Die Stadt wurde noch nicht beschossen. Als er dann genauer zusah, glaubte er zu verstehen, sie sollten als Antwort auf die wenigen Schüsse aus den Festungsgeschützen dienen. Er wandte sich nach Norden und beobachtete die Zitadelle, all dies verwickelte, furchtbare Gewirr von Festungswerken, das schwarze Mauerwerk, die grünen Flächen der Glacis, das geometrische Liniengewirr der Bastionen, vor allen die drei Hauptschanzen der Schotten, am Großen Garten und la Rochette mit ihren drohend vorspringendenWinkeln; und schließlich nach Westen herüber wie eine Verlängerung aus Zyklopenmauerwerk das Fort Nassau, an das sich jenseits der Vorstadt von Mênil das Fort Pfalz anschloß. Sie machten auf ihn gleichzeitig einen Eindruck von Riesenhaftigkeit und Kindlichkeit. Was nutzten sie jetzt noch gegen Geschütze, deren Geschosse von einem Ende des Himmels zum andern flogen? Übrigens war der Platz gar nicht befestigt, denn er hatte weder die nötigen Geschütze noch Schießbedarf noch Besatzung. Vor kaum drei Wochen hatte der Gouverneur aus freiwilligen Bürgern eine Art Nationalgarde zur Bedienung der paar gebrauchsfähigen Geschütze geschaffen. Und so kam es, daß von der Pfalz her drei Geschütze feuerten, während beim Pariser Tor etwa ein halbes Dutzend standen. Allein es standen für jedes Geschütz nur sieben oder acht Ladungen zur Verfügung, so daß sie sparsam mit ihnen umgingen und nur alle halbe Stunden einen Schuß abfeuerten, gleichsam der Ehre halber, denn die Geschosse reichten nicht weit und fielen in die gegenüberliegenden Wiesen. Die feindlichen Batterien mißachteten sie auch offenbar und antworteten nur von Zeit zu Zeit wie aus Mitleid.
    Diese Batterien da hinten waren es, die Delaherches Neugier erregten. Mit lebhaften Blicken durchfolgte er die Hügel der Marfée, als ihm plötzlich der Gedanke kam, sein Fernrohr, mit dem er sonst die Umgegend zu seinem Vergnügen durchforcht hatte, auf der Plattform aufzustellen. Er ging hinunter, um es zu suchen, und kam dann wieder herauf und stellte es auf; als er es dann eingestellt hatte und mit kurzen Rucken die Landschaft mit ihren Bäumen und Häusern an sich vorbeigleiten ließ, da kam er oberhalb Frénois auf die Gruppe von Uniformen, die Weiß von Bazeilles aus am Rande eines Kieferngehölzes ausfindig gemacht hatte. Eraber hätte bei der Vergrößerung seines Glases die Offiziere dieses Stabes zählen können, so klar sah er sie vor sich. Mehrere lagen halb ins Gras hingestreckt, andere standen in Gruppen aufrecht; vor ihnen stand ein einzelner Mann von trockenem, unbedeutendem Aussehen in ganz unauffälliger Uniform, in dem er aber doch den Herrn herausfühlte. Es war auch der König von Preußen, kaum einen halben Finger hoch, wie so ein winziger Bleisoldat, mit dem die Kinder spielen. Er wurde sich hierüber

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