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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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indessen erst später klar und ließ ihn nicht mehr aus den Augen; immer wieder kam er auf diesen winzigen Zwerg zurück, dessen Gesicht nur wie ein linsengroßer blasser Fleck gegen den blauen Himmel stand.
    Noch war es nicht Mittag, und der König stellte den mathematisch unerbittlichen Marsch seiner Heere in den letzten neun Stunden fest. Sie marschierten und marschierten immer weiter auf den vorgeschriebenen Wegen und bildeten mit ihrer Mauer von Menschen und Geschützen einen sich Schritt für Schritt enger schließenden Kreis um Sedan. Der linke Flügel, der über die nackte Ebene von Donchery gekommen war, quoll immer weiter aus dem Paß von Saint-Albert hervor, durchschritt Saint-Menges und begann sich Fleigneur zu bemächtigen; und hinter dem elften Korps, das sich in heftigem Handgemenge mit den Truppen General Douays befand, sah er deutlich das fünfte hervorbrechen, das sich die Waldungen zunutze machte, um sich auf den Kalvarienberg von Illy zu werfen; während dessen fügte sich Batterie an Batterie zu einer immer länger werdenden Linie ohne Unterlaß donnernder Geschütze, so daß allmählich der ganze Horizont in Flammen stand. Jetzt hatte die rechte Heeresgruppe den Givonnegrund besetzt, das zwölfte Korps hatte sich La Moncelles bemächtigt, die Garde begann gerade Daigny zudurchschreiten und stieg schon am Bache aufwärts, wobei sie sich gleichzeitig auch gegen den Kalvarienberg wandte, nachdem sie General Ducrot gezwungen hatte, sich bis hinter das Garennegehölz zurückzuziehen. Eine Anstrengung noch, und der Kronprinz von Preußen konnte dem Kronprinzen von Sachsen auf diesen kahlen Feldern unmittelbar am Rande des Ardennerwaldes die Hand reichen. Südlich der Stadt konnte man Bazeilles vor dem Rauch vieler Brände und dem gelblichen Staub eines wütenden Kampfes nicht mehr sehen.
    Und der König sah ruhig zu, wie seit dem Morgen schon. Eine, zwei Stunden noch, vielleicht auch drei; es war nur eine Frage der Zeit, ein Rad trieb das andere an, der Steinbrecher war im Gange und mußte sein Werk vollenden. Unter dem unendlichen, sonnendurchströmten Himmel verengerte sich das Schlachtfeld förmlich mit all diesem wütenden Gemenge schwarzer Punkte, die sich um Sedan herum stießen und drängten. In der Stadt leuchteten Fensterscheiben auf; nach links gegen die Cassine-Vorstadt schien ein Haus zu brennen. Jenseits, wo die Felder nach Donchery und Carignan hinüber dann wieder einsam dalagen, herrschte in der mächtigen Mittagshitze ein heißer, leuchtender Friede über den klaren Wassern der Maas, den lebensfrohen Bäumen, den weiten, fruchtbaren Ländereien und grünen Wiesen.
    Der König hatte einsilbig um eine Auskunft gefragt. Er wollte den von ihm befehligten Menschenstaub auf diesem Riesenschachbrett in der Hand behalten und über ihn Bescheid wissen. Zu seiner Rechten schwirrte ein Taubenschwarm, vom Geschützdonner erschreckt, hoch in die Lüfte empor und verschwand gen Süden.
     

4.
    Auf der Straße nach Balan konnte Henriette zunächst noch mit raschem Schritt vorwärtskommen. Es war kaum neun Uhr; die breite, von Häusern und Gärten eingefaßte Straße war einstweilen noch leer; aber je näher der Vorstadt, desto mehr wurde sie von flüchtenden Einwohnern und Truppenbewegungen gesperrt. Bei jeder neuen Menschenmasse drückte sie sich an die Mauern und kam so doch gleitend weiter vorwärts. Winzig und unscheinbar in ihrem dunklen Kleide, mit ihren blonden Haaren und dem kleinen, unter dem schwarzen Spitzentuche halb verschwindenden Gesicht entging sie allen Blicken, und nichts hielt ihren raschen, schweigenden Gang auf.
    In Balan verlegte aber ein Regiment Marineinfanterie ihr den Weg. Die fest zusammengeschlossene Menschenmasse wartete im Schutze deckender Baume auf Befehle. Sie stellte sich auf die Fußspitzen, konnte aber kein Ende absehen. Nun versuchte sie sich ganz klein zu machen, um sich so durchzuschmuggeln. Die Ellbogen stießen sie zurück und sie fühlte Gewehrkolben in der Seite. Aber als sie eine Anzahl Schritte gemacht hatte, erhoben sich laute Einwendungen. Ein Hauptmann drehte sich um und wurde wütend.
    »He! Frau, sind Sie verrückt? ... Wo wollen Sie hin?«
    »Ich will nach Bazeilles.«
    »Was? Nach Bazeilles?«
    Allgemeines Lachen ertönte. Sie zeigten unter lauten Scherzen auf sie. Der Hauptmann fühlte sich ebenfalls belustigt und entgegnete ihr:
    »Nach Bazeilles, Kleine, da könnten Sie uns wohl mitnehmen! ... Bis jetzt waren wir drin und ich hoffe auch,wir

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