Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
mal, Sie sollten nicht so unsinnig sein ... Wie wollen Sie denn Weiß da draußen finden? Er ist wahrscheinlich gar nicht mehr da, ganz sicher ist er querfeldein gerannt, um wieder hierherzukommen ... Ich versichere Sie, Sie können nicht nach Bazeilles hinein.«
    Aber sie hörte gar nicht nach ihm hin, sie ging nur schneller und bog schon in die Rue du Ménil ein, um nach dem Tore von Balan zu kommen. Es war fast neun Uhr, und Sedan lebte nicht länger in den düstern Schauern des Morgens, wie bei dem öden, ungewissen Erwachen im dichten Nebel. Drückender Sonnenschein schnitt die Schatten der Häuser scharf auf dem Pflaster aus, auf dem sich eine angsterfüllte, unaufhörlich von dahinjagenden Meldereitern durchschnittene Menschenmasse drängte. Vor allem bildeten sich Gruppen um schon wieder hereingekommene waffenlose Soldaten, einige leicht verwundet, andere nur in ungewöhnlicher Aufregung die Arme schwenkend und schreiend. Und trotzdem hätte die Stadt allmählich wohl ihr alltägliches Aussehen wieder angenommen, hätten nicht so viele Geschäfte ihre Läden geschlossen gehabt und so manche Häuser wie tot dagestanden, weil kein Fensterladen sich in ihnen öffnete. Dann der Geschützdonner, der ununterbrochene Geschützdonner, von dem selbst die Steine, der Erdboden, die Mauern bis zu den Dachschiefern hinauf erzitterten.
    Delaherche wurde einem höchst unbehaglichen, starken inneren Kampfe zur Beute und fühlte sich zwischen seiner Pflicht als tapferer Mann, die ihn Henriette nicht verlassen hieß, und dem Schrecken hin- und hergerissen, daß er den Weg nach Bazeilles noch einmal im Granatenhagel zurücklegen sollte. Als sie das Tor nach Balan erreichten, kam plötzlich ein Strom berittener Offiziere herein und trennte sie. Vor dem Tore drängten sich viele Menschen, um auf Nachricht zu warten. Vergeblich lief er und suchte die junge Frau: sie mußte schon außerhalb der Umwallung sein und draußen ihren Schritt beschleunigen. Ohne seinen Eifer noch weiter zu treiben, ertappte er sich dabei, wie er ganz laut sagte:
    »Um so schlimmer! Das ist zu dämlich!«
    Nun bummelte Delaherche in Sedan herum wie manch anderer neugieriger Bürger, der ja nichts von dem Schauspiel verlieren will, aber er fühlte sich von einer wachsenden Unruhe ergriffen. Was sollte aus alledem werden? Und wenn das Heer geschlagen war, würde dann die Stadt nicht sehr zu leiden haben? Die Antworten auf diese Fragen blieben ihm unklar, denn sie hingen zu sehr von zukünftigen Ereignissen ab. Nichtsdestoweniger begann er um seine Fabrik zu zittern, sein in der Rue Macqua gelegenes Grundstück, auf dem er übrigens auch seine ganzen Wertsachen an sicherer Stelle verborgen hatte. Er begab sich nach dem Stadthause und fand dort, daß der Gemeinderat eine Dauersitzung abhalte; dann vertrödelte er lange Zeit, ohne irgend etwas Neues zu erfahren, außer daß die Schlacht sehr schlecht stehe. Die Truppen wußten nicht mehr, wem sie zu gehorchen hätten, da sie von General Ducrot in den zwei Stunden, die er den Oberbefehl innehatte, zurückgezogen und darauf von General Wimpffen, der sein Nachfolger wurde, wiedervorgeführt worden waren; dies ganz unverständliche Schwanken, bei dem Stellungen wieder genommen werden mußten, die erst aufgegeben waren, dies gänzliche Fehlen jedes Planes und jeder tatkräftigen Leitung beschleunigten das Unglück.
    Nun drang Delaherche bis zur Unterpräfektur vor, um zu erfahren, ob der Kaiser wieder hereingekommen sei. Man konnte ihm dort aber nur über den Marschall Mac Mahon berichten, dem ein Chirurg seine nicht sehr gefährliche Wunde verbunden hatte und der nun ruhig im Bette lag. Als er aber gegen elf wieder über das Pflaster lief, wurde er in der Großen Straße vor dem Gasthause de l'Europe einen Augenblick durch einen langsam daherkommenden Reiterzug aufgehalten, dessen Pferde traurig im Schritt gingen. An ihrer Spitze erkannte er den Kaiser, der nach vierstündigem Aufenthalt auf dem Schlachtfelde zurückkehrte. Der Tod hatte ihn entschieden nicht haben wollen. Der Angstschweiß dieses Rittes durch die Niederlage hatte die Schminke von seinen Backen verschwinden lassen, die aufgewichsten Schnurrbartenden waren weich geworden und hingen herunter, sein erdfarbiges Gesicht zeigte die schmerzverzerrte Stumpfheit des Todeskampfes. Ein Offizier sprang vor dem Gasthause ab und erklärte der zusammengelaufenen Menge den Weg, den sie von La Moncelle bis Givonne an dem ganzen kleinen Tal entlang unter den

Weitere Kostenlose Bücher