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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Sturmschritt mußten sie zurück und sich unter einem Hagel von Kugeln nach rechts wenden. Später konnten sie sich unmöglich auf den Weg besinnen, den sie eingeschlagen hatten. An jeder Mauerecke dieses unentwirrbaren Netzes schoß man sich noch herum. Unter den Durchfahrten gab es so immer noch einzelne Gefechte, die geringsten Vorsprünge wurden verteidigt und mit entsetzlicher Erbitterung im Sturme genommen. Plötzlich aber kamen sie nahe bei Sedan auf die aus dem Givonnegrunde führende Straße.
    Jean hob noch ein letztes Mal den Kopf, um nach Westen zu sehen, wo die Sonne in rosiger Glut unterging; und dann stieß er endlich einen Seufzer unendlicher Erleichterung aus.
    »Ach, dies Schwein von Sonne, endlich geht sie unter!«
    Alle drei rannten sie übrigens und rannten, ohne Atem zu holen. Um sie her brauste das letzte Ende des Flüchtlingsschwarmes über die ganze Breite der Straße in immer zunehmendem Gedränge wie ein ausgeuferter Wildbach dahin. Als sie an das Tor von Balan kamen, mußten sie mitten in einem wüsten Gedränge warten. Die Ketten der Zugbrücke waren gebrochen und nur der Fußgängerlaufsteg benutzbar geblieben; Geschütze und Pferde konnten daher überhauptnicht hinüber. An dem Ausfallpförtchen am Schlosse und am Cassinetor wäre das Gedränge noch entsetzlicher, hieß es. Es war, als wollte sich alles wie toll in einen Abgrund stürzen, wie so die Bruchstücke des Heeres von allen Abhängen sich herniederwälzten und auf die Stadt warfen; mit dem Gebrause einer geöffneten Schleuse stürzten sie in sie hinein wie in die Tiefe eines Kanals. Die verhängnisvolle Anziehungskraft der Mauern verdrehte auch den Tapfersten den Kopf.
    Maurice hatte Henriette in die Arme genommen; er zitterte vor Ungeduld.
    »Sie werden doch wenigstens das Tor nicht schließen, ehe alle hinein sind!«
    Das fürchtete die ganze Menge. Rechts und links lagerten sich indessen schon Soldaten auf den Abhängen; und in den Gräben scheiterten Batterien, Munitionswagen und Pferde in wirrem Durcheinander.
    Aber öfter und öfter riefen jetzt Hörner zum Appell, und bald folgte klar das Zeichen zum Rückzuge. Die noch zögernden Soldaten wurden zurückgerufen. Manche kamen auch im Laufschritt heran, vereinzelte Schüsse ertönten in der Vorstadt seltener und seltener. Auf den innern Brustwehren wurden noch Abteilungen zur Verteidigung der Außenwerke gelassen; dann wurde das Tor endlich geschlossen. Die Preußen waren keine hundert Meter mehr entfernt. Man sah sie auf der Straße nach Balan hin und her gehen und ganz ruhig Häuser und Gärten besetzen.
    Maurice und Jean, die Henriette vor sich herschoben, waren unter den letzten nach Sedan hineingekommen. Es schlug sechs Uhr. Das Geschützfeuer hatte schon seit fast einer Stunde aufgehört. Allmählich schwiegen auch die vereinzelten Gewehrschüsse. Und dann blieb von all dem betäubendenLärm, dem scheußlichen, seit Sonnenuntergang grollenden Donner nichts als das Schweigen des Todes. Die Nacht kam und senkte sich düster in schauervollem Schweigen herab.
     

8.
    Nachdem er nun wußte, die Schlacht sei verloren, ging Delaherche in seiner Angst vor den Folgen gegen halb sechs, ehe die Tore geschlossen wurden, abermals nach der Unterpräfektur. Fast drei Stunden lang blieb er dort, trabte auf dem Pflaster des Hofes hin und her und spähte nach allen vorbeikommenden Offizieren, um sie zu fragen; auf diese Weise erfuhr er, wie die Ereignisse sich überstürzt hatten: wie General Wimpffen seine Entlassung eingereicht und wieder zurückgezogen hatte, wie er vom Kaiser Vollmacht erhalten habe, um vom großen Hauptquartier der Preußen zugunsten der besiegten Truppen möglichst wenig entehrende Bedingungen zu erlangen, schließlich vom Zusammentritt des Kriegsrates, dem die Entscheidung darüber oblag, ob man den Kampf weiter fortsetzen und die Festung verteidigen wolle. Während der Beratung, an der etwa zwanzig höhere Offiziere teilnahmen und die ihm hundert Jahre zu dauern schien, stieg der Tuchfabrikant wieder und wieder die Stufen der Freitreppe hinauf. Um ein viertel nach acht sah er plötzlich den General Wimpffen dunkelrot mit ganz geschwollenen Augen, von einem Oberst und zwei Generalen gefolgt, herunterkommen. Sie sprangen in den Sattel und entfernten sich nach der Maasbrücke hin. Das hieß, die Übergabe war angenommen, unvermeidlich.
    Nun fühlte Delaherche sich wieder sicher und fand, er sterbe vor Hunger, so daß er beschloß, nach Hause zu gehen. Sobalder

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