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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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so verändert, so verstört vor Kummer wiedergesehen hatte, und wenn er sie sich dann so wieder vorstellte, wie sie ihm gestern als lächelndes Hausmütterchen erschienen war. Er hatte zuerst nicht gewußt, was er zu ihr sagen sollte, und wußte nicht einmal, ob sie ihn wiedererkenne. Er hätte sich für sie hingeopfert, um ihr ihre Ruhe und Fröhlichkeit wiederzugeben.
    »Warten Sie auf uns im Hause... Wenn es gefährlich wird, finden wir schon Mittel und Wege, um uns da oben in Sicherheit zu bringen.«
    Aber sie drückte durch eine Handbewegung ihre Gleichgültigkeit aus.
    »Wozu?«
    Indessen stieß auch ihr Bruder sie vorwärts, und sie mußte die Stufen hinauf und blieb dann einen Augenblick im Vorsaale stehen, von wo ihre Blicke den Baumgang übersahen. Von jetzt an wohnte sie dem ganzen Kampfe bei.
    Maurice und Jean hielten sich hinter einer der ersten Ulmen. Die hundertjährigen Stämme konnten bei ihrem Riesenumfange mit Leichtigkeit zwei Mann decken. Etwas weiter war der Hornist Gaude zu Leutnant Rochas gestoßen, der eifrigst auf den Schutz der Fahne bedacht war, da er sie niemand anvertrauen konnte; er hatte sie neben sich gegen den Baum gelehnt, während er selbst feuerte. Jeder Stamm war übrigens besetzt. Von einem Ende des Baumgangesbis zum andern versteckten sich Zuaven, Jäger und Marineinfanteristen hinter ihnen und streckten den Kopf nur vor, um zu schießen.
    Die Anzahl der Preußen in dem kleinen Gehölz gegenüber mußte ständig zunehmen, denn ihr Feuer wurde immer lebhafter. Kein Mensch war zu sehen, höchstens das rasche Auftauchen eines Profils in dem Augenblick, wo der Mann von einem Baume zum andern sprang. Ein Landhaus mit grünen Fensterläden war ebenfalls von Schützen besetzt, deren Schüsse aus den halb offenen Fenstern des Erdgeschosses hervorbrachen. Es war ungefähr vier Uhr, das Geschützfeuer wurde langsamer und schwieg allmählich; aber hier ging das Morden weiter, als ob es sich um persönliche Streitigkeiten handelte, denn hier von diesem entlegenen Loch aus konnte kein Mensch die auf dem Donjon gehißte weiße Fahne sehen. Bis in die finstere Nacht hinein gab es so noch manche Winkel auf dem Schlachtfelde, in denen die Geschichte trotz des Waffenstillstandes weiterging, und im Givonnegrunde und den Gärten von Petit-Pont hörte man das Gewehrfeuer immer noch andauern.
    So fuhren sie lange Zeit fort, sich von einer Seite des Tales nach der andern hinüber mit Kugeln zu durchlöchern. Von Zeit zu Zeit fiel ein Mann mit durchbohrter Brust, wenn er die Unvorsichtigkeit beging, sich eine Blöße zu geben. In dem Baumgange lagen drei neue Tote. Ein auf dem Gesicht liegender Verwundeter röchelte gräßlich, ohne daß irgend jemand auf den Gedanken gekommen wäre, ihn umzudrehen, um ihm den Todeskampf zu erleichtern.
    Als Jean aufsah, bemerkte er plötzlich, wie Henriette, die ruhig wieder herausgekommen war, dem Armen einen Tornister als Kopfkissen unter den Kopf schob, nachdem sie ihnauf den Rücken gelegt hatte. Er lief hinzu und brachte sie ungestüm hinter den Baum, hinter dem er und Maurice Schutz gefunden hatten.
    »Wollen Sie sich denn umbringen lassen?«
    Sie schien gar kein Verständnis dafür zu besitzen, wie unsinnig ihre Tollkühnheit war.
    »Gewiß nicht... Aber allein da drin im Vorsaale habe ich solche Angst... Ich möchte viel lieber hier draußen bleiben.«
    Und sie blieb bei ihnen. Sie ließen sie sich zu ihren Füßen gegen den Stamm niedersetzen, während sie fortfuhren, ihre letzten Patronen nach rechts und links in derartiger Wut abzufeuern, daß ihnen Müdigkeit und Furcht ganz darüber vergingen. Eine gänzliche Bewußtlosigkeit kam über sie, sie handelten mit leerem Kopfe vollständig unbewußt, rein aus Selbsterhaltungstrieb.
    »Sieh mal, Maurice,« sagte Henriette plötzlich, »ist das nicht ein preußischer Gardesoldat, der Tote da vor uns?«
    Seit ein paar Augenblicken schon prüfte sie ganz genau eine der Leichen, die der Feind dagelassen hatte, einen dicken Burschen mit starkem Schnurrbarte, der in dem Kiese der Terrasse auf der Seite lag. Seine Pickelhaube war ein paar Schritte weiter gerollt, der Sturmriemen war zerrissen. Wirklich trug der Tote die Uniform der preußischen Garde; die dunkelgraue Hose, den blauen Rock mit den weißen Streifen und den aufgerollten Mantel umgehängt.
    »Ich sage dir, das ist ganz sicher Garde... Ich habe zu Hause noch ein Bild... Und dann das Bild, das Vetter Günther uns geschickt hat...«
    Sie unterbrach sich und

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