Der Zusammenbruch
Bajonett entspann. Mit bloßem Kopf und zerrissener Weste richtete ein Zuave, ein schöner Kerl mit schwarzem Bart, ein furchtbares Blutbad an, indem er krachende Brustkörbe und weiche Bäuche durchbohrte und sein noch vom Blute des einen rotes Bajonett in den Weichen eines andern wieder abwischte; und als es abbrach, fuhr er fort, ihnen mit Kolbenhieben die Schädel einzuschlagen; schließlich, als ein Fehltritt ihn endgültig entwaffnete, sprang er einem dicken Preußenmit einem derartigen Satz an die Kehle, daß sie alle beide in tödlicher Umarmung über den Kies der Terrasse bis an die eingeschlagene Küchentüre rollten. Zwischen den Bäumen des Parkes, auf jeder Ecke des Rasens häuften andere Schlächtereien weitere Tote auf. Aber auf der Freitreppe um das himmelblaue Sofa und die Lehnstühle herum tobte der Kampf am heftigsten; hier verbrannten sich die Männer in wütendem Gedränge das Gesicht durch unmittelbar aufeinander abgefeuerte Schüsse und zerfleischten sich mit Zähnen und Nägeln, wenn ihnen ein Messer fehlte, um sich die Brust aufzuschlitzen.
Gaude mit seinem schmerzerfüllten Gesicht, das einen Kummer ausdrückte, von dem er niemals sprach, wurde nun von geradezu verrückter Tapferkeit ergriffen. Angesichts dieser letzten Niederlage, nun er ganz genau wußte, die ganze Kompanie war vernichtet und kein Mensch würde auf seinen Ruf kommen, da packte er sein Horn, setzte es an den Mund und blies mit einem solchen Sturmesatem zum Sammeln, daß es schien, als wolle er die Toten wieder auferwecken. Und die Preußen kamen, und er wankte nicht, mit voller Lunge blies er immer lauter. Ein Sturm von Kugeln warf ihn nieder, sein letzter Hauch schwang sich in einem metallenen Tone gen Himmel, so daß es schien, als schauderte der darüber zusammen.
Rochas stand ohne jedes Verständnis aufrecht und machte keine Anstalten zur Flucht. Er wartete und stammelte:
»Naja! Was ist denn? Was ist denn?«
Das ging ihm nicht in den Schädel ein, daß das hier wieder eine Niederlage war. Alles war anders geworden, selbst die Art zu kämpfen. Hätten diese Kerls auf der andern Seite des Tales nicht warten müssen, bis man sie besiegen konnte?Wozu schlug man sie tot, wenn immer mehr von ihnen kamen? Was für 'ne verfluchte Sorte von Krieg war denn das, wo sich zehn Mann zusammentun, um einen zu erschlagen, wo der Feind sich erst abends zeigt, nachdem er einen den ganzen Tag lang erst schlau durch Geschützfeuer in Verwirrung gebracht hat? Bis jetzt hatte er von dem ganzen Feldzuge noch nichts begriffen und fühlte sich nun verdutzt, betäubt, erfaßt und mitgerissen von etwas Höherem, dem er keinen Widerstand mehr leistete, obwohl er immer noch wie ein aufgezogenes Uhrwerk wiederholte: »Mut, Kinder, dort hinten winkt uns der Sieg!« Jetzt hatte er mit einer raschen Gebärde die Fahne wieder ergriffen. Das war sein letzter Gedanke, sie zu verbergen, damit die Preußen sie nicht bekämen. Obwohl die Fahnenstange zerbrochen war, geriet sie ihm doch zwischen die Beine, und er wäre fast gefallen. Kugeln pfiffen um ihn her und er fühlte den Tod nahen; da riß er das Seidentuch der Fahne ab und zerfetzte sie in der Absicht, sie zu vernichten. In diesem Augenblick traf es ihn in Hals, Brust und Beine, und er sank auf den dreifarbigen Fetzen zusammen, so daß sie ihn ganz umgaben. Eine Minute lang lebte er noch und seine weit aufgerissenen Augen sahen vielleicht am Horizont das wirkliche Bild des Krieges emporsteigen, den wilden Kampf ums Dasein, den man nur mit ergebenem, ernstem Herzen auf sich nehmen darf wie ein Gesetz. Dann überfiel ihn ein leichtes Schlucken und er ging in seiner kindlichen Bestürzung hinüber, das arme, beschränkte Geschöpf, das er war, wie ein sich des Lebens erfreuendes Insekt, das die Notwendigkeit der gewaltigen, empfindungslosen Natur vernichtet. Mit ihm verschwand eine Sagengestalt. Sowie die Preußen kamen, hatten Jean und Maurice sichvon Baum zu Baum zurückgezogen und schützten Henriette so gut wie möglich zwischen sich. Sie hörten nicht auf zu schießen, sie feuerten und suchten dann neue Deckung. Maurice wußte oben im Park eine kleine Pforte, die sie auch zufällig offen fanden. Rasch schlüpften sie alle drei hinaus. Sie gerieten in einen engen Verbindungsgang, der sich zwischen zwei hohen Mauern hinschlängelte. Aber als sie ans Ende kamen, ließen ein paar Schüsse sie sich nach links in ein anderes Gäßchen werfen. Das Unglück wollte, daß dies eine Sackgasse war. Im
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