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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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vor Fieber zitternder Stimme:
    »Es ist aus, nicht wahr? Wir übergeben uns?«
    Der Fabrikant fing einen Blick seiner Mutter auf und war im Begriff zu lügen. Aber wozu? Er machte eine verzweifelnde Handbewegung.
    »Was sollen sie denn machen? Wenn Sie die Straßen in der Stadt sehen könnten! ... General Wimpffen hat sich eben wieder ins preußische Hauptquartier begeben, um über die Bedingungen zu verhandeln.«
    Herrn von Vineuils Augen hatten sich wieder geschlossen, ein langer Schauder ergriff ihn und es entfuhr ihm die leise Klage:
    »O mein Gott, mein Gott!«
    Ohne die Augen wieder zu öffnen, fuhr er in abgerissenen Sätzen fort:
    »Ach, was ich vorhatte, hätten sie gestern durchführen müssen ... Ja, ich kenne doch das Gelände und hatte dem General meine Befürchtungen mitgeteilt; aber auf den haben sie ja auch nicht gehört ... Da oben die Höhen oberhalb Saint-Menges bis Fleigneux besetzt, beherrscht die Armee Sedan und bleibt im Besitze des Passes von Saint-Albert ... Dort warten wir, unsere Stellungen sind nicht zu nehmen, der Weg nach Mézières steht uns offen ...«
    Seine Sprache verwirrte sich, er stotterte noch ein paar unverständliche Worte, während das vom Fieber erzeugte Bild der Schlacht sich allmählich verdunkelte und vom Schlaf fortgescheucht wurde. Er schlief und fuhr am Ende fort, von Sieg zu träumen.
    »Sagt der Stabsarzt gut für ihn?« fragte Delaherche mit leiser Stimme.
    Frau Delaherche machte mit dem Kopfe ein bejahendes Zeichen.
    »Einerlei, diese Verwundungen am Fuße sind gräßlich,« fuhr er fort. »Er muß doch sicher lange im Bett bleiben, nicht wahr?«
    Diesmal blieb sie still, wie versunken in den Schmerz über die Niederlage. Sie stammte ja auch aus einem andern Zeitalter, aus jenem alten, rauhen Bürgertum der Grenze, das seine Städte ehemals so glühend verteidigt hatte. In dem hellen Lampenlicht lag auf ihrem strengen Gesicht mit der dürren Nase und den schmalen Lippen der ganze Ausdruck ihres Zornes und ihrer Leiden, dies gänzliche sich Aufbäumen, das sie am Schlafen hinderte.
    Nun fühlte Delaherche sich ganz vereinsamt und von furchtbarer Traurigkeit erfüllt. Unerträglicher Hunger packte ihn und er meinte, nur diese Schwäche nähme ihm den Mut. Auf den Zehenspitzen verließ er die Kammer und ging abermals mit seiner Kerze in die Küche hinunter. Hier fand er es noch trauriger, der Herd war ausgegangen, die Anrichte leer, die Aufwaschtücher in Unordnung, als wäre auch hier der Windhauch des Unglücks hindurchgefahren und hätte die ganze lebhafte Freudigkeit an Essen und Trinken mit sich fortgenommen. Zuerst glaubte er schon, er werde keine Brotrinde mehr finden, denn alle Brotreste waren mit der Suppe ins Lazarett gewandert. Dann fand er aber hinten in einem Schranke noch vom Tage vorher vergessene Bohnen. Er aß sie ohne Butter, ohne Brot im Stehen, denn um eine solche Mahlzeit mochte er nicht wieder nach oben gehen; aber so in der traurigen Küche, die die kleine flackernde Lampe mit ihrem Petroleumgeruch verpestete, beeilte er sich doch nach Möglichkeit.
    Es war erst etwas nach zehn, und Delaherche wartete nun in Muße, ob die Übergabe endlich vollzogen sei. Die Unruhe, die Furcht, der Kampf möchte wieder aufgenommen werden, dauerte in ihm fort, all die Angst vor dem, was dann vor sich gehen mußte, wovon er zwar nicht sprach, was ihm aber doch schwer auf dem Herzen lag. Als er dann wieder in sein Zimmer hinaufgegangen war, wo Maurice und Jean sich noch nicht gerührt hatten, versuchte er vergeblich, sich in einem Lehnstuhl auszustrecken; der Schlaf floh ihn, das Platzen von Granaten ließ ihn plötzlich auffahren, so daß er glaubte, er müßte den Verstand verlieren. Das war der entsetzliche Geschützdonner des ganzen Tages, den er noch in den Ohren hatte; er horchte einen Augenblick und saß dann zitternd vor dem gewaltigen Schweigen da, das jetzt herrschte. Weil er also doch nicht schlafen konnte, ging er lieber in den dunklen Zimmern umher, ohne jedoch in die Kammer zu gehen, in der seine Mutter bei dem Oberst wachte; denn der starre Blick, mit dem sie seinen Bewegungen folgte, wurde ihm schließlich peinlich. Zweimal war er schon umgekehrt, um zu sehen, ob Henriette nicht aufgewacht wäre, und blieb vor dem so friedlichen Gesicht der jungen Frau stehen. Bis zwei Uhr morgens ging er so herauf und hinunter, von einem Platze zum andern, weil er nicht wußte, was er machen sollte.
    Das konnte so nicht weitergehen. Delaherche entschloß sich,

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