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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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hartnäckig und quetschte sich durch die Große Straße bis ans Ende durch, indem er bald auf Wagendeichseln entlang turnte, bald über Gepäckwagen kletterte. Auf dem Schulplatze wurde er etwa dreißig Meter weit auf den Schultern anderer weitergetragen. Dann sank er wieder herunter, die Seiten wurden ihm beinahe eingedrückt, und er konnte sich nur dadurch retten, daß er sich an den Stäben eines Gitters hochzog. Als er schließlich schweißbedeckt und zerfetzt die Rue Macqua erreichte, hatte er sich seit seinem Fortgang aus der Unterpräfektur über eine Stunde abgequält, um einen Weg zurückzulegen, zu dem er gewöhnlich weniger als fünf Minuten brauchte.
    Der Stabsarzt Bouroche hatte eine Überfüllung des Gartens und des Lazaretts vermeiden wollen und daher zur Vorsicht zwei Posten vor den Eingang gestellt. Das war für Delaherche bei dem Gedanken, sein Haus könnte am Endeausgeplündert werden, ein großer Trost. Der Anblick des nur spärlich durch ein paar Laternen erhellten Lazaretts im Garten, das einen üblen Fiebergeruch ausströmte, jagte ihm wieder Eiseskälte ins Herz. Er stieß gegen einen auf dem Pflaster schlafenden Soldaten, und da kam ihm die Kriegskasse des siebenten Korps wieder ins Gedächtnis, die dieser Mann zu bewachen hatte; er war offenbar von seinen Vorgesetzten vergessen worden und nun derartig von Müdigkeit überwältigt, daß er sich hingelegt hatte und eingeschlafen war. Das Haus schien übrigens ganz leer, das Erdgeschoß war dunkel, alle Türen standen offen. Die Dienstboten hatten wohl im Lazarett bleiben müssen, denn in der Küche, wo eine kleine Lampe trübe schwelte, war kein Mensch. Er zündete sich eine Kerze an und stieg leise die Treppe hinauf, um seine Mutter und seine Frau nicht aufzuwecken, die er dringend gebeten hatte, sich nach diesem so arbeitsreichen und aufregenden Tage zu Bett zu legen.
    Aber als er in sein Zimmer trat, fuhr er zusammen. Auf dem Sofa, auf dem Hauptmann Beaudouin am Tage vorher ein paar Stunden geschlafen hatte, fand er einen Soldaten ausgestreckt; er verstand die Sachlage erst, als er Maurice, Henriettes Bruder, erkannte. Noch klarer wurde sie ihm, als er beim Umdrehen auf dem Teppich einen in einen Mantel gewickelten zweiten Soldaten erblickte, nämlich Jean, den er vor der Schlacht gesehen hatte. Alle beide schienen tot vor Erschöpfung. Er blieb nicht stehen, sondern ging in das danebenliegende Schlafzimmer seiner Frau. Auf der Ecke eines Tisches stand hier eine brennende Lampe und es herrschte ein schauriges Schweigen. Gilberte hatte sich, zweifellos in der Befürchtung eines kommenden Unheils, vollständig angezogen aufs Bett geworfen. Sie schlief indessenganz ruhig, während neben ihr auf einem Stuhle, den Kopf gegen ihre Matratze gesunken, Henriette gleichfalls schlief; aber ihr Schlummer wurde von schweren Träumen beunruhigt, und große Tränen hingen ihr an den Lidern. Er sah einen Augenblick auf sie nieder und kam in Versuchung, sie aus Wißbegierde aufzuwecken. War sie wohl bis Bazeilles gekommen? Wenn er sie fragte, konnte sie ihm vielleicht Nachricht über seine Färberei geben? Aber Mitleid packte ihn, und er zog sich zurück, als seine Mutter auf der Schwelle erschien und ihm schweigend ein Zeichen machte, ihr zu folgen.
    Als sie darauf durch das Speisezimmer gingen, gab er ihr sein Erstaunen zu erkennen.
    »Was? Du hast dich nicht hingelegt?«
    Zuerst machte sie nur ein verneinendes Zeichen mit dem Kopfe; dann antwortete sie mit unterdrückter Stimme:
    »Ich kann nicht schlafen, ich habe mich in einen Lehnstuhl zum Oberst gesetzt ... Er hat vor kurzem sehr heftiges Fieber bekommen und wacht alle Augenblicke auf und fragt mich ... Und ich weiß doch nicht, was ich ihm sagen soll ... Komm mal herein und sieh ihn dir an.«
    Herr von Vineuil war schon wieder eingeschlafen. Auf dem Kopfkissen war sein langes rotes Gesicht nur undeutlich zu erkennen, sein Schnurrbart schnitt es wie mit einer schneeigen Flut ab; Frau Delaherche hatte eine Zeitung vor die Lampe gestellt, und so war diese ganze Ecke der Kammer in Halbdunkel gehüllt; nur auf sie fiel ein lebhaftes Licht, als sie so ernst in ihrem Lehnstuhle dasaß, die Hände herabgesunken und die Augen in trauriger Träumerei in der Ferne verloren.
    »Warte,« sagte sie leise, »ich glaube, er hat dich gehört; da wacht er schon wieder auf.«
    In der Tat öffnete der Oberst die Augen und heftete sie,ohne den Kopf zu bewegen, auf Delaherche. Er erkannte ihn und fragte ihn sofort mit

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