Der Zusammenbruch
der Erde emporsteigen lassen, die Auferstehung aus dem Gemetzel der Schlachten, um vor Gott Zeugnis abzulegen.
In Sedan war der ganze Wagenzug des kaiserlichen Haushalts mit dem platzvergeudenden und viel geschmähten Gepäck verwahrlost hinter den Fliederbüschen des Unterpräfekten stehengeblieben. Man wußte nicht, wie man sie verschwinden lassen und den armen, vor Elend umkommenden Leuten aus den Augen schaffen sollte, einen so unerträglichen Eindruck machten sie in ihrer beleidigenden Protzerei und standen zu der erlittenen Niederlage in einem so furchtbar ironischen Gegensatz. Es mußte eine dunkle Nacht abgewartet werden. Pferde, Kutschen und Gepäckwagen mitihren silbernen Töpfen, ihren Bratspießen, ihren Körben voll feinster Weine verschwanden geheimnisvoll aus Sedan und verliefen sich ebenfalls unter möglichst geringem Geräusch in einem unruhigen, verstohlenen Schauder auf dunklen Wegen nach Belgien.
Dritter Teil
1.
Von dem auf dem Hügel von Remilly gelegenen Hofe Vater Fouchards aus blickte Silvine während des nicht endenwollenden Schlachttages unaufhörlich im Donner und Rauch der Geschütze nach Sedan hinüber und schauderte dabei über und über, wenn sie an Honoré dachte. Und als sie sich am nächsten Tage noch keine bestimmten Nachrichten verschaffen konnte, weil die Preußen alle Wege bewachten und nicht antworten wollten, übrigens wohl auch selbst nichts wußten, da wuchs ihre Angst noch mehr. Der helle Sonnenschein vom Tage vorher war verschwunden und Wolkenbrüche waren niedergegangen und verliehen dem ganzen Tale mit ihrem bleiernen Licht einen traurigen Anstrich.
Gegen Abend stand Vater Fouchard, den sein eigenwilliges Schweigen doch auch quälte, obwohl er an seinen Sohn kaum dachte, sondern nur neugierig darauf war, welche Wendung dies Unglück der übrigen wohl für ihn nehmen werde, auf der Stufe vor seiner Tür, um Ausschau zu halten, als er einen großen, mit einer Bluse bekleideten Burschen bemerkte, der schon ein paar Augenblicke in offenbarer Verwirrung auf der Straße herumbummelte. Als er ihn erkannte,war seine Überraschung so gewaltig, daß er ihn ganz laut anrief, trotzdem gerade drei Preußen vorübergingen.
»Was? Du bist das, Prosper?«
Mit einer kräftigen Bewegung schloß der Chasseur d'Afrique ihm den Mund. Dann trat er näher und sagte mit halblauter Stimme:
»Ja, ich bin's. Ich habe genug davon, mich für nichts und wieder nichts zu schlagen, und bin ausgerissen ... Sagt mal, Vater Fouchard, braucht Ihr nicht einen Knecht?«
Sofort fand der Alte seine Schlauheit wieder. Er suchte tatsächlich gerade einen. Aber das brauchte er ja nicht zu sagen.
»Einen Knecht? Nein, wirklich nicht, gerade jetzt ... Komm aber mal herein und trink' ein Glas. Ich werde dich doch nicht in deiner Not so auf der Straße liegen lassen!«
Drinnen setzte Silvine gerade die Suppe ans Feuer, und der kleine Karl hing spielend und lachend an ihrem Rock. Zuerst erkannte sie Prosper nicht wieder, obwohl er früher schon mit ihr zusammen gedient hatte; erst als sie zwei Gläser und eine Flasche Wein gebracht hatte, fand sie sich in seinem Gesicht zurecht. Sie stieß einen Schrei aus, dachte aber natürlich dabei nur an Honoré.
»Ach, Ihr kommt von drüben, nicht wahr?... Geht's Honoré gut?«
Prosper wollte ihr antworten, zögerte dann aber. Seit zwei Tagen lebte er wie in einem Traum, in einer wirren Folge unbestimmter Vorstellungen, die sein Gedächtnis nicht zu einer Klärung kommen ließ. Er glaubte wirklich, er habe Honoré tot über sein Geschütz hingestreckt liegen sehen; aber jetzt hätte er das nicht mehr behaupten mögen; und warum soll man den Leuten ihren Trost nehmen, wenn man sich selbst nicht sicher ist?
»Honoré?« sagte er leise, »ich weiß nicht... ich kann's nicht sagen...«
Sie sah ihn fest an und beharrte auf ihrer Frage.
»Dann habt Ihr ihn also nicht gesehen?«
Er bewegte langsam die Hand und nickte mit dem Kopfe.
»Wenn Ihr glaubt, daß man das wissen könnte! Bei so vielerlei, so vielerlei! Seht, ich bin wahrhaftig nicht imstande, lange Geschichten aus dieser verdammten Schlacht zu erzählen... Nein! Ich weiß nicht mal die Orte, durch die ich gekommen bin... Man wird rein verrückt, wahrhaftig!«
Und nachdem er ein Glas Wein heruntergestürzt hatte, blieb er trübselig mit weit weg in der Finsternis seines Gedächtnisses verlorenen Augen sitzen.
»Alles, worauf ich mich noch besinne, ist, daß es schon dunkel wurde, als ich wieder zur
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