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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Von da an hätten sie den Wald gar nicht mehr verlassen, immer hätten sie gehorcht und gelauschtund mit den Händen herumgefühlt. Als sie von einem Pfade abbogen, hatten sie kriechen müssen und wären gerade einem verlorenen Posten auf die Schultern gesprungen, dem sie mit einem Schnitt die Kehle aufgeschlitzt hätten. Weiterhin wären die Wege frei gewesen und sie wären lachend und pfeifend weitergezogen. Gegen drei Uhr morgens wären sie in einem kleinen belgischen Dorfs angekommen, bei einem Bauern, einem guten Kerl, der ihnen, sobald er aufgewacht wäre, sofort seine Scheune aufgemacht hätte, wo sie im Hafer fest geschlafen hätten.
    Die Sonne stand schon hoch, als Prosper aufwachte. Als er die Augen aufmachte und seine Kameraden noch weiterschnarchten, hatte er gesehen, wie ihr Wirt ein Pferd vor einen großen mit Reis, Kaffee, Zucker und allen möglichen andern Vorräten beladenen Karren spannte, die unter Säcken mit Holzkohle versteckt waren; und er hatte gehört, daß der brave Mann zwei verheiratete Töchter in Raucourt habe, denen er diese Vorräte hinbringen wollte, denn er wußte, daß sie nach dem Durchzuge der Bayern vollkommen entblößt daständen. Am frühen Morgen hatte er sich den nötigen Erlaubnisschein besorgt. Sofort fühlte Prosper sich von dem närrischen Wunsche gepackt, sich neben ihn auf die Karrenbank zu setzen und mit ihm da hinten in diesen Erdenwinkel zurückzukehren, nach dem ihn schon das Heimweh quälte. Nichts war ja einfacher, als daß er in Remilly abstiege, durch das der Bauer ja doch fahren mußte. In drei Minuten war alles abgemacht, sie liehen ihm den erforderlichen Rock und Hosen, und der Pächter gab ihn überall als seinen Sohn aus; so konnte er gegen sechs Uhr vor der Kirche absteigen, nachdem sie nur zwei- oder dreimal von den deutschen Posten angehalten worden waren.
    »Nein, ich habe genug davon!« wiederholte Prosper nach einer Pause. »Und wenn sie noch was Vernünftiges aus uns rausgeholt hätten, wie da unten in Afrika. Aber erst nach links marschieren, um nachher nach rechts zu gehen und immerfort zu fühlen, daß man zu nichts gut ist, dann ist das länger kein Dasein ... Und jetzt, nun mein armer Zephir tot ist, da wäre ich nun wieder ganz allein; es bleibt mir nichts übrig, als mich wieder an die Arbeit zu machen. Nicht wahr? Das ist doch noch besser, als als Gefangener bei den Preußen zu sein? ... Ihr habt doch Pferde, Vater Fouchard, Ihr sollt mal sehen, wie lieb ich sie habe und wie ich für sie sorge!«
    Die Augen des Alten funkelten. Er stieß noch mal mit ihm an und kam dann ohne jede Übereilung zu folgendem Schluß:
    »Mein Gott! Wenn ich dir einen Gefallen damit tun kann, dann will ich's wohl machen und dich nehmen ... Aber mit dem Lohn, da können wir erst nach dem Kriege drüber sprechen, denn ich brauche wahrhaftig niemand und die Zeiten sind zu hart.«
    Silvine, die mit Karlchen auf den Knien sitzengeblieben war, hatte Prosper nicht aus den Augen gelassen. Als sie sah, daß er aufstand, um gleich in den Stall zu gehen und die Tiere kennenzulernen, fragte sie von neuem:
    »Also, von Honoré habt Ihr nichts gesehen?«
    Die unerwartete Wiederholung der Frage machte ihn zittern, als ob ein plötzlicher Lichtschein einen dunklen Winkel seines Gedächtnisses aufgehellt hatte. Er zauderte noch einen Augenblick und sagte dann entschlossen:
    »Seht, ich wollte Euch nicht gleich zu Anfang so wehtun, aber ich glaube, Honoré ist da draußen geblieben.«
    »Wieso, geblieben?«
    »Ja, ich glaube, die Preußen haben ihm sein Teil gegeben... Ich habe ihn so halb über seinem Geschütz liegen sehen, den Kopf hoch, mit einem Loch unter dem Herzen.«
    Es entstand eine Pause. Silvine war entsetzlich bleich geworden, während Vater Fouchard sein Glas, in das er gerade den Rest der Flasche gegossen hatte, ganz ergriffen auf den Tisch stellte.
    »Seid Ihr ganz sicher?« fing sie mit erstickter Stimme wieder an.
    »Gewiß! So sicher, wie man nur sein kann, wenn man so was selbst gesehen hat ... Es war auf einem kleinen Berge, neben drei Bäumen, ich glaube, ich könnte mich mit geschlossenen Augen wieder hinfinden.«
    In ihr brach etwas zusammen. Der Bursche, der ihr verziehen hatte, der sich durch ein Versprechen an sie gebunden hatte, den sie heiraten sollte, wenn er nach Schluß des Feldzuges aus dem Dienst heimkäme! Und den hatten sie ihr getötet, und er lag da draußen mit einem Loch unter dem Herzen! Noch nie hatte sie gefühlt, wie sehr sie ihn liebte;

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