Der Zusammenbruch
Frühstück der fünf allmählich ganz lebhaft. Sie fühlten sich so abgerissen und hungrig, wie sollten sie sich da nicht freuen, sich alle gesund und wohlbehalten hier wiederzufinden, während Tausende von armen Teufeln noch draußen auf den umliegenden Feldern lagen? Allein schon das weiße Tischtuch in dem großen kühlen Eßzimmer bot eine Augenfreude, und der sehr heiße Kaffee mit Milch war hervorragend.
Sie plauderten. Delaherche hatte sich bereits wieder mit der Gutmütigkeit eines auf seine Beliebtheit bedachten Schutzherrn, der gegen nichts als gegen Erfolglosigkeit strenge verfährt, in seine Stellung des reichen Gütererzeugers hineingefunden und ließ seinen Unmut nun an Napoleon III. aus, dessen Gesicht ihn, den neugierigen Maulaffen, seit vorgestern verfolgte. Und da niemand anders als dieser einfache Bursche zu haben war, wandte er sich an Jean.
»O ja, Herr, das kann ich wohl sagen, der Kaiser hat mich enttäuscht ... Mögen seine Schmeichler immerhinmildernde Umstände für ihn beantragen, er bleibt doch die erste Veranlassung, die einzige Ursache all unseres Unglücks.«
Er hatte schon vollständig vergessen, daß er als glühender Bonapartist noch vor ein paar Monaten am Siege des Plebiszits mitgearbeitet hatte. Und er blieb nicht einmal dabei stehen, den Mann, der jetzt als der Mann von Sedan dastehen sollte, zu beklagen, er beschuldigte ihn auch noch aller möglichen Schlechtigkeiten.
»Unfähig, wie man jetzt ja wohl zugeben muß, aber das will ja noch nichts sagen ... Ein nach Schlachtenbildern haschender Geist, ein schlecht veranlagtes Gehirn, dem alles gut zu gehen schien, solange das Glück mit ihm war ... Nein, sehen Sie, da brauchen sie wahrhaftig nicht erst versuchen, uns Mitleid mit ihm einzuflößen und uns zu erzählen, man hätte ihn betrogen, die Opposition hätte ihm die Mannschaften und die nötigen Vorschüsse verweigert. Er selbst hat uns getäuscht, seine Laster und seine Fehler haben uns in dies abscheuliche Wirrsal gestürzt, in dem wir uns befinden.«
Maurice wollte nicht mitreden, konnte aber ein Lächeln nicht unterdrücken; Jean dagegen war diese politische Unterhaltung peinlich; er fürchtete Dummheiten zu sagen und beschränkte sich daher auf die Antwort:
»Es wird aber doch gesagt, er wäre ein tapferer Mann.«
Aber die paar in aller Bescheidenheit vorgebrachten Worte ließen Delaherche emporfahren. All die Angst, die er ausgestanden hatte, all seine Befürchtungen platzten in einem Ausruf hochgradiger Leidenschaft, die sich in Haß verwandelt hatte, los.
»Ein tapferer Mann, ja wahrhaftig, das ist rasch gesagt! ... Wissen Sie, Herr, meine Fabrik hat drei Granaten bekommen,und des Kaisers Schuld ist es nicht, wenn sie noch nicht in Flammen aufgegangen ist! ... Wissen Sie, daß ich, so wie ich hier mit Ihnen spreche, hunderttausend Francs an dieser dämlichen Geschichte verliere! ... Ach, nein, nein! Frankreich überrannt, niedergebrannt, ausgeschlachtet, die ganze Warenerzeugung zum Stilliegen verurteilt, der Handel vernichtet, das ist zuviel! Von derartigen tapfern Männern haben wir genug, Gott bewahre uns davor! ... Er liegt in Dreck und Blut, mag er drin bleiben!«
Er machte mit der Faust eine energische Gebärde, als ob er ein unglückliches Wesen, das sich heftig sträubte, unter Wasser tauchte und festhielte. Dann trank er seinen Kaffee mit schmatzenden Lippen aus. Gilberte stieß unwillkürlich ein leichtes Lachen über Henriettes schmerzerfüllte Zerstreutheit aus, und sie half ihr wie einem kleinen Kinde. Als die Tassen leer waren, blieben sie zögernd noch ein wenig im Schatten des schönen, kühlen Eßzimmers zusammen.
Zu der gleichen Stunde befand sich Napoleon III. in dem kleinen Weberhäuschen an der Straße nach Donchery. Von fünf Uhr morgens an hatte er die Unterpräfektur verlassen wollen, da er sich mit dem ganzen, wie drohende Gewissensbisse auf ihm lastenden Sedan um sich herum nicht wohlfühlte, und weil er übrigens auch von dem Drange gequält wurde, sein mitleidiges Herz dadurch etwas zu beruhigen, daß er für seine unglücklichen Truppen etwas leichtere Bedingungen zu erhalten suchte. Er wollte den König von Preußen sehen. Er war in einer Mietkutsche aufgebrochen und legte diese erste Strecke seines Weges in die Verbannung, die mächtige, breite, mit hohen Pappeln eingefaßte Straße in der Kühle der Dämmerung zurück, wobei er den ganzenZerfall seiner Größe empfand, die er jetzt mit seiner Flucht hinter sich ließ; und auf
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