Der Zusammenbruch
Besinnung kam... Als ich beim Angriff über Kopf ging, stand die Sonne sehr hoch. Stundenlang habe ich da so mit dem Bein unter meinem alten Zephir eingeklemmt liegen müssen, der eine Kugel mitten in die Brust gekriegt hatte... Ich kann Euch sagen, meine Lage war wahrhaftig nicht schön, bloß Haufen von toten Kameraden, keine Katze mehr lebendig, und dabei der Gedanke, ich müßte auch verrecken, wenn mich nicht jemand mitnähme... Langsam versuchte ich den Schenkel frei zu machen; das war aber unmöglich, Zephir war so schwer wie fünfhunderttausend Teufel. Er war noch warm, ich streichelte ihn und rief ihn zärtlich an. Und da, seht Ihr, das werde ich niemals vergessen: er machte die Augen noch mal auf und gab sich Mühe, seinen armen Kopf zu heben, der neben meinem auf der Erde lag. Da haben wir geplaudert: ›Mein armer Alter,‹ hab' ich zu ihm gesagt, ›ich will es dir ja nicht zum Vorwurf machen, aber du willst mich doch wohl hiernicht mit dir verrecken lassen, daß du mich so festhältst?‹ Natürlich sagte er nicht ja. Trotzdem sah ich in seinem trüben Blicke doch den Kummer darüber, daß er mich verlassen müßte. Und ich weiß nicht, ob er es absichtlich getan hat oder ob es bloß so 'ne Zuckung war, aber plötzlich fuhr er zusammen und warf sich auf die Seite. Ich konnte aufstehen, aber das war eine verdammte Geschichte! Mein Bein war schwer wie Blei... Einerlei! Ich nahm Zephirs Kopf in die Arme und redete ihm alles vor, was mir gerade vom Herzen kam, was für 'n gutes Pferd er wäre und wie lieb ich ihn hätte und daß ich immer an ihn denken wollte. Er hörte zu und schien ganz zufrieden. Dann fuhr er noch einmal so zusammen und war tot, mit seinen großen, leeren Augen, die er nicht von mir abwendete... Ganz einerlei, komisch ist es doch, und niemand wird es mir wohl glauben: es ist die reine Wahrheit, er hatte ein paar dicke Tränen in den Augen ... Mein armer Zephir weinte wie ein Mensch...«
Der Kummer schnürte Prosper die Kehle zusammen und er mußte sich unterbrechen, denn er weinte selbst auch nach. Er goß abermals ein Glas Wein hinunter und fuhr dann mit seiner Geschichte in abgebrochenen, unvollendeten Sätzen fort. Es wäre immer dunkler geworden, und nur noch ein roter Schein wäre schräg über das Schlachtfeld gefallen und hätte den Schatten der toten Pferde in die Unendlichkeit geworfen. Er wäre natürlich noch lange bei seinem stehengeblieben, denn mit seinem Bein, das so schwer wie Blei war, hätte er ja auch gar nicht weggehen können. Dann aber hätte die Furcht ihn plötzlich doch zum Laufen gebracht, er hätte nicht länger allein bleiben können, sondern hätte seine Kameraden wiederfinden müssen, damit er sich weniger ängstigte. So hätten sich von überallher vergesseneVerwundete herangeschleppt, aus den Gräben, aus den Gebüschen, aus allen möglichen verlorenen Winkeln, und hätten versucht, sich wieder zusammenzuschließen, sie hätten kleine Gruppen zu vier oder fünf gebildet, richtige kleine Gesellschaften, wo es weniger hart wäre, wenn sie zusammen röchelten und stürben. So wäre er im Garennegehölz auf zwei Leute von den 43ern gestoßen, die keine Schrammen abgekriegt hätten und trotzdem wie die Hasen auf der Erde gelegen und auf die Nacht gewartet hätten. Als sie hörten, er kenne die Wege, erzählten sie ihm, sie hätten vor, ins Belgische hinüberzulaufen und vor Tagesanbruch durch die Wälder über die Grenze zu kommen. Zuerst hatte er sich geweigert, sie zu führen, und hatte lieber gleich nach Remilly gehen wollen, weil er dort sicher einen Unterschlupf finden würde; aber wo sollte er Rock und Hose herkriegen? Und schließlich konnte er doch nicht hoffen, vom Garennegehölz bis Remilly, von einer Seite des Tales nach der andern hinüber, durch die vielen preußischen Linien zu kommen. So hatte er denn schließlich eingewilligt, den beiden Waffengefährten als Führer zu dienen. Sein Bein war wieder warm geworden, und auf einem Hofe hatten sie sich ein Brot geben lassen können. Als sie sich wieder auf den Weg machten, hatte es in der Ferne auf einem Turme neun geschlagen. Die einzige große Gefahr hätten sie bei La Chapelle ausgestanden, wo sie richtig mitten in einen feindlichen Posten geraten wären, der zu den Waffen gegriffen und in der Dunkelheit geschossen hätte, während sie platt auf dem. Bauche weitergerutscht und auf allen vieren gerannt wären, und unter dem Pfeifen der Kugeln hätten sie schließlich das Dickicht wieder gewonnen.
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