Der Zusammenbruch
dieser Straße war ihm Bismarck begegnet, der schleunigst in seiner alten Mütze und hohen Transtiefeln angelaufen gekommen war, einzig, um ihn zu unterhalten und ihn daran zu hindern, den König zu sehen, ehe die Übergabe unterzeichnet wäre. Der König war noch in Vendresse, vierzehn Kilometer weit. Wo sollte er hin? Unter welchem Dache sollte er rasten? Der Tuilerienpalast versank dort hinten in einer Gewitterwolke. Sedan schien ihm bereits meilenweit und durch einen Strom von Blut von ihm getrennt. Kaiserliche Schlösser gab es in Frankreich keine mehr, keine Dienstwohnungen mehr, nicht einmal mehr bei dem geringsten seiner Beamten einen Winkel, in dem er sich niederzulassen gewagt hätte. So entschloß er sich, hier in dem Weberhäuschen zu stranden, dem elenden Hause, das er mit seinem kleinen, von einer Hecke umschlossenen Küchengarten, seiner einstöckigen Vorderseite mit den kleinen blinden Fenstern von der Straße aus bemerkt hatte. Die gekalkte Kammer oben war einfach mit Fliesen ausgelegt und besaß keine weitere Einrichtung als einen weißgescheuerten Tisch und zwei strohgeflochtene Stühle. Stundenlang wartete er hier geduldig, zuerst in Bismarcks Gesellschaft, der lächelte, als er ihn von Edelmut sprechen hörte, und schließlich allein, indem er sein ganzes Unglück hinter sich herschleppte und sein erdfarbiges Gesicht an die Fensterscheiben drückte, um noch einmal den Boden Frankreichs zu sehen, die Maas, die so prächtig durch die weiten, fruchtbaren Gefilde dahinlief.
Am nächsten und den darauffolgenden Tagen kamen dann die andern scheußlichen Raststellen: das Schloß Bellevue, dies heitere, bürgerliche Schloß, das den Fluß überblickte, woer schlief und nach seiner Zusammenkunft mit König Wilhelm in Tränen ausbrach; der grausame Aufbruch, bei dem Sedan aus Furcht vor dem Zorn der Besiegten und Verhungerten vermieden wurde; die von den Preußen bei Iges geschlagene Pontonbrücke; der lange Umweg nördlich der Stadt mit seinem Ausweichen und Fahren über die entlegensten Straßen um Floing, Illy und Fleigneur herum, diese ganze jammervolle Flucht im offenen Wagen; und schließlich auf der trostlosen, leichenbedeckten Hochebene von Illy das sagenhafte Zusammentreffen des unglücklichen Kaisers, der den Trab seines Pferdes nicht mehr ertragen konnte, da er unter dem Ansturm irgendeines Krankheitsanfalles zusammengebrochen war und ganz unbewußt seine ewige Zigarette rauchte, mit einem Trupp hagerer, von Staub und Blut bedeckter Gefangener, die von Fleigneur nach Sedan hereingeführt wurden und sich, um dem Wagen auszuweichen, zu beiden Seiten des Weges aufgestellt hatten, die ersten noch stumm, dann andere dumpf grollend, wieder andere in immer lauterer Erregung, und schließlich in Schimpfen ausbrechend, ihn unter geballten Fäusten mit Schimpf und Schande überhäufend. Zum Schluß kam dann noch der endlose Weg über das Schlachtfeld, alle Straßen eine Meile lang zerstört, unter Trümmern und Leichen, die mit weit offenen, drohenden Augen dalagen, dann die nackte Landschaft, die weiten, stummen Wälder, die Grenze oben auf einer Anhöhe, und dann das Ende von allem, das mit der von Fichten eingefaßten Straße drüben in dem engen Tale verschwand.
Und dann die erste Nacht der Verbannung in einem Gasthofe zu Bouillon, dem Gasthofe zur Post, wo der Kaiser sich von einer derartigen Menge geflüchteter Franzosen und gewöhnlicherNeugieriger umlagert fand, daß er schließlich sich unter Murren und Pfeifen nach oben zurückziehen mußte. Die Kammer, deren drei Fenster über den Platz und nach der Semoy hinausgingen, war das gewöhnliche Gasthauszimmer mit rot überzogenen Damaststühlen, einem Mahagonispiegelschrank, der Kamin mit einer auf beiden Seiten von Muscheln und ein paar Vasen mit künstlichen Blumen unter Glasglocken umgebenen Uhr aus Zinkguß geschmückt. Rechts und links von der Tür standen ein paar kleine, ganz gleiche Bettstellen. In die eine legte sich der Adjutant und schlief von neun Uhr an infolge seiner Müdigkeit mit fest geschlossenen Fäusten; in der andern sollte der Kaiser sich lange umherwälzen, ohne Ruhe finden zu können; und er stand auf, um sein Leiden spazierenzuführen, wobei er keine andere Unterhaltung genoß als den Anblick zweier an der Wand neben dem Kamin hängender Stiche, von denen der eine Rouget de l'Isle darstellte, wie er die Marseillaise singt, und der andere das Jüngste Gericht, einen wütenden Trompetenstoß der Erzengel, die alle Toten aus
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