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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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noch kein Beschluß gefaßt sei, das Feuer auf die Stadt Sedan wieder eröffnet werden würde. Angesichts dieses schrecklichen Zwanges hatte der Kriegsrat den General nur ermächtigen können, sich abermals nach dem Schlosse Bellevue zu begeben und auf alles einzugehen. Der General mußte dort schon sein, und das ganze französische Heer war mit Waffen und Gepäck gefangen.Nun hatte Rosa sich genauer über die außerordentliche, durch diese Nachricht in der Stadt hervorgerufene Erregung verbreitet. In der Unterpräfektur hatte sie gesehen, wie Offiziere sich die Achselstücke abrissen und wie Kinder in Tränen vergingen. Auf der Brücke warfen Kürassiere ihre Pallasche in die Maas; ein ganzes Regiment war entlanggezogen und jeder Mann hatte den seinigen weggeschleudert, hatte zugesehen, wie das Wasser aufspritzte und sich wieder schloß. In den Straßen packten die Soldaten ihre Gewehre beim Lauf und zerschmetterten die Kolben an den Mauern; die Artilleristen dagegen nahmen die Verschlüsse der Mitrailleusen heraus und warfen sie in die Kanäle. Manche hatten Fahnen verbrannt oder vergraben. Auf dem Turenneplatz war ein alter Sergeant auf einen Prellstein gestiegen und hatte die Führer beschimpft und sie Feiglinge genannt, als ob er plötzlich verrückt geworden wäre. Andere standen ganz verstört mit dicken Tränen in den Augen umher. Aber wieder andern, und zwar den meisten, das mußte sie auch zugeben, hatten die Augen ordentlich geleuchtet vor Zufriedenheit und ihr ganzes Wesen hatte rasende Freude ausgedrückt. Schließlich war ihr Elend doch nun zu Ende, sie waren Gefangene und brauchten nicht mehr zu fechten! Wie hatten sie all die Tage unter den übertriebenen Märschen und dem Nahrungsmangel gelitten! Wozu sollten sie übrigens auch noch fechten, wenn sie doch nicht die Stärkeren waren? Wenn die Führer sie verkauft hatten, um so besser, denn dann war nun alles auf einmal vorbei! Es war so köstlich, sich sagen zu dürfen, nun könnte man wieder Weißbrot essen und in einem Bette schlafen!
    Als Delaherche oben mit Jean und Maurice ins Eßzimmer trat, rief seine Mutter ihn zu sich.
    »Komm doch mal, der Oberst macht mir solche Sorge.«
    Herr von Vineuil lag wieder mit weit offenen Augen in keuchenden Fieberträumen.
    »Was liegt daran, wenn die Preußen uns von Mézières abschneiden ... Hier kommen sie schon um das Falizettegehölz herum, und andere klettern schon am Givonnebach herauf ... Die Grenze liegt hinter uns, wir können mit einem Satze hinüber, sobald wir ihnen möglichst viele getötet haben ... Das wollte ich gestern schon ...«
    Aber da trafen seine glühenden Blicke Delaherche. Er erkannte ihn und schien zu sich zu kommen, aus seinem verworrenen Traumleben aufzuwachen; und so fiel er wieder in die schreckliche Wirklichkeit zurück und fragte zum drittenmal:
    »Nicht wahr? Es ist aus!«
    Dieser Plötzlichkeit gegenüber konnte der Tuchfabrikant das Hervorbrechen seiner Zufriedenheit nicht unterdrücken.
    »Ach ja, Gott sei Dank! Ganz und gar aus ... Die Übergabe muß jetzt bereits unterzeichnet sein.«
    Heftig richtete der Oberst sich trotz seines verbundenen Fußes auf; er faßte seinen auf dem Stuhle liegenden Degen und wollte ihn mit aller Kraft zerbrechen. Aber seine Hände zitterten zu sehr und der Stahl entglitt ihm.
    »Paß auf! Er wird sich schneiden!« rief Delaherche. »Das ist zu gefährlich, nimm ihn ihm doch weg!«
    Nun bemächtigte Frau Delaherche sich des Degens. Aber anstatt ihn, wie ihr Sohn ihr riet, zu verstecken, zerbrach sie ihn bei der sichtlichen Verzweiflung Herrn von Vineuils mit einem kurzen Ruck über ihrem Knie mit ungewöhnlicher Kraft, deren sie selbst ihre armen Hände gar nicht mehr für fähig gehalten hatte. Der Oberst war wieder zurückgesunken,er weinte und sah auf seine alte Freundin mit einem Ausdruck unendlicher Güte.
    Währenddessen hatte die Köchin im Eßzimmer Tassen mit Kaffee und Milch für alle eingeschenkt. Henriette und Gilberte waren aufgewacht, die letztere durch ihren guten Schlaf völlig ausgeruht, mit klarem Gesicht und fröhlichen Augen; sie umarmte ihre Freundin zärtlich und beklagte sie aus tiefstem Herzen, wie sie sagte; Maurice setzte sich neben seine Schwester, während Jean, der auch annehmen mußte, sich etwas linkisch Delaherche gegenübersetzte. Frau Delaherche war nicht zu bewegen, sich auch an den Tisch zu setzen, sie mußten ihr eine Tasse hinbringen, und damit hatte sie genug. Nebenan aber wurde das anfangs recht stumme

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