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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Messer zu gebrauchen. Aber trotz allem drehte sich ihnen doch der Magen um. Sie litten vor allem unter dem Mangel an Salz; ihr Magen weigerte sich, die fade Roterübensuppe mit den nur halb gekochten Fleischstücken, die ganz leimig waren und nach Ton schmeckten, anzunehmen. Fast sofort mußten sie sich übergeben. Pache konnte nicht weiteressen, Chouteau und Loubet schimpften auf den Satansschinder von Gaul, der ihnen erst soviel Mühe gemacht hatte, ihn in den Suppentopf zu kriegen, und ihnen nun Bauchschmerzen beibrachte. Nur Lapoulle aß mächtig; aber in der Nacht, als er mit den drei andern unter die Pappeln am Kanal zurückgekehrt war, um dort zu schlafen, kam er beinahe um.
    Unterwegs hatte Maurice ohne ein Wort Jean beim Arme gepackt und in einen Seitenweg gezogen. Die Kameraden verursachten ihm wütenden Abscheu, und so hatte er einen Plan ausgeheckt, nämlich in das kleine Gehölz zu gehen, in dem er die erste Nacht zugebracht hatte, und dort zu schlafen. Das war ein guter Gedanke, den Jean auch aufs höchste billigte, als er sich auf den abschüssigen, ganz trockenen und durch das dichte Blattwerk geschützten Boden niederstreckte. Hier blieben sie nun bis zum hellichten Tag und schliefen sogar sehr tief, was ihnen wieder einige Kraft verlieh.
    Der nächste Tag war ein Donnerstag. Aber sie wußten gar nicht mehr, wie sie eigentlich lebten; sie freuten sich lediglich über das gute Wetter, das wieder eingesetzt zu habenschien. Jean brachte Maurice trotz seines Widerstrebens dazu, nach dem Kanalufer zurückzugehen und nachzusehen, ob ihr Regiment heute abgehen würde. Jeden Tag wurden jetzt Gefangene abgeschoben, Abteilungen von tausend bis zwölfhundert Wann, die nach den Festungen in Deutschland überführt wurden. Vor zwei Tagen hatten sie vor dem preußischen Posten einen Trupp Offiziere abgehen sehen, die in Pont-à-Mousson die Eisenbahn nehmen sollten. Bei allen herrschte ein wahres Fieber, eine wütende Sucht, aus dem Jammerlager herauszukommen. Ach! Wenn sie doch endlich drankamen! Und als sie die 106er immer noch an der Böschung lagern fanden, in einer Unordnung, die durch ihre mannigfachen Leiden nur noch gesteigert war, da fielen sie wahrhaft in Verzweiflung.
    Trotzdem glaubten Jean und Maurice aber, sie würden heute etwas zu essen kriegen. Seit dem Morgen hatte sich zwischen den Gefangenen und den Bayern auf der andern Seite des Kanals ein reger Handelsverkehr entwickelt; sie warfen ihnen Geld in einem Taschentuche hinüber, und die warfen ihnen dann das Taschentuch mit einem Stück Weißbrot oder etwas grobem, kaum trockenem Tabak wieder zurück. Selbst Soldaten, die kein Geld hatten, beteiligten sich an diesen Geschäften, indem sie ihnen ihre weißen Diensthandschuhe hinüberwarfen, für die die Bayern eine große Liebhaberei zu haben schienen. Zwei Stunden lang flogen an dem ganzen Kanal entlang solche Packen in diesem barbarischen Tauschhandel hinüber und herüber. Aber als Maurice in seiner Halsbinde ein Fünffrancsstück hinübergeworfen hatte, warf der Bayer, der ihm ein Brot dafür zuwerfen wollte, es aus Ungeschick oder niederträchtigem Spaß so, daß es ins Wasser fiel. Nun erhob sich unter den Deutschen ein Riesengelächter.
    Zweimal versuchte Maurice, es zu erreichen, aber jedesmal tauchte das Brot unter. Nun liefen, durch das Gelächter angelockt, Offiziere herbei und verboten ihren Leuten unter Androhung schwerer Strafen, den Gefangenen irgend etwas zu verkaufen. Der Handel brach ab, und Jean mußte Maurice beruhigen, der den Dieben die Fäuste zeigte und ihnen zurief, sie sollten ihm sein Geld wiedergeben.
    Auch dieser Tag wurde trotz seines mächtigen Sonnenscheins schrecklich. Zweimal gab es Alarm, zweimal tönten die Hörner zum Appell, so daß Jean nach dem Schuppen rannte, in dem, wie er glaubte, eine Verteilung stattfinden sollte. Aber beide Male erhielt er im Gedränge nur Rippenstöße. Die Preußen, bei denen alles so vorzüglich geordnet war, fuhren fort, der gefangenen Truppe gegenüber eine rohe Sorglosigkeit zu zeigen. Auf die Vorstellungen der Generale Douay und Lebrun ließen sie zwar ein paar Hammel und einige Wagenladungen mit Brot heranschaffen; aber ihre Vorsichtsmaßregeln erwiesen sich als so schlecht getroffen, daß die Hammel weggeschleppt und die Wagen geplündert waren, sobald sie über die Brücke kamen, und die Truppen, die hundert Meter weiter entfernt lagerten, immer noch nichts bekamen. Fast nur die Herumstreichet, die die Wagen geplündert

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