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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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umherschweifen ließ.
    »Ach! dauert das lange!« brummte Lapoulle, den sein mächtiger Hunger quälte. »Ich will es totschlagen; soll ich?«
    Aber Loubet hielt ihn fest. Danke schön! Um dann von den Preußen hereingelegt zu werden, die bei Todesstrafeverboten hatten, auch nur ein Pferd zu töten, denn sie fürchteten, es möchten durch das liegengebliebene Aas Seuchen erzeugt werden. Sie mußten also die nahe Nacht abwarten. Und deshalb lagen sie alle vier hier im Graben und spähten mit funkelnden Augen unablässig nach dem Pferde hinüber.
    »Herr Korporal,« sagte Pache mit einem leichten Zittern in der Summe, »Sie haben doch immer so Gedanken; wenn Sie es doch totmachen könnten, ohne ihm wehzutun!«
    Jean zeigte durch eine Bewegung seinen Widerwillen und wies das grausame Handwerk zurück. Dies arme, sich mit dem Tode abquälende Tier, nein, o nein! Im ersten Antriebe wollte er weglaufen und Maurice mitnehmen, um weder der eine oder der andere an dieser greulichen Schlachterei teilzuhaben. Als er aber seinen Gefährten so blaß dasitzen sah, schalt er sich sofort über seine Empfindlichkeit. Mein Gott! Schließlich waren doch die Tiere dazu geschaffen, den Menschen zu ernähren. Man brauchte sich doch schließlich nicht vor Hunger umkommen zu lassen, solange noch Fleisch da war. Und es gewährte ihm eine gewisse Befriedigung, als er sah, wie Maurice bei der Aussicht auf etwas Eßbares wieder munterer wurde, und so sagte er selbst gutlaunig:
    »Nein, ich habe wahrhaftig keine Ahnung, und wenn es totgeschlagen werden soll, ohne ihm wehzutun...«
    »Ach, das ist mir Wurst!« unterbrach ihn Lapoulle. »Sollt mal sehen.«
    Als die beiden Ankömmlinge sich in den Graben gesetzt hatten, ging das Warten wieder los. Von Zeit zu Zeit stand einer der Leute auf, um zu sehen, ob das Pferd auch noch da wäre, das seinen Hals dem frischen Hauch von der Maas her und der untergehenden Sonne entgegenstreckte, wie um aus ihnen noch Leben zu schöpfen. Als dann schließlich die Dämmerungherankam, standen die sechs mit wilden, spähenden Blicken auf; sie waren ungeduldig über die träge Nacht und sahen nach allen Seiten unruhig und argwöhnisch umher, ob sie auch kein Mensch wahrnähme.
    »Ach los!« schrie Chouteau. »Jetzt ist's Zeit!«
    Das Gelände lag noch hell in einem zweifelhaften Zwielicht vor ihnen. Lapoulle lief zuerst heran, gefolgt von den fünf andern. Er hatte im Graben einen großen runden Stein aufgegriffen und stürzte sich nun mit ihm auf das Pferd, um ihm mit hochgeschwungenen Armen, wie mit einer Keule, den Schädel zu zertrümmern. Aber schon nach dem zweiten Schlage versuchte das Pferd mit einer mächtigen Anstrengung auf die Beine zu kommen. Nun warfen sich Loubet und Chouteau über seine Beine und versuchten sie festzuhalten, während sie den andern zuriefen, ihnen zu helfen. Das Pferd wieherte mit fast menschlicher Stimme ängstlich und jammervoll, es wehrte sich und hätte sie alle zerschmettert, wenn es nicht schon halb tot vor Erschöpfung gewesen wäre. Es bewegte den Kopf aber zu heftig, die Schläge führten nicht zum Ziele, Lapoulle konnte so nicht mit ihm fertig werden.
    »Herrgott, hat das harte Knochen! ... Haltet es doch, damit ich es abmurkse!«
    Jean und Maurice hörten, ganz vereist, gar nicht auf Chouteaus Hilferufe; sie standen mit herabhängenden Armen da und konnten sich nicht entschließen, ihm zu helfen.
    Und Pache fiel plötzlich in einer gefühlsmäßigen Anwandlung frommen Mitleids auf die Knie; er faltete die Hände und begann die Gebete herzustammeln, die man am Sterbebette zu sagen pflegt.
    »Herr, erbarme dich seiner ...«
    Wieder einmal schlug Lapoulle daneben und riß dem bedauernswertenPferde ein Ohr ab, so daß es sich mit einem mächtigen Schrei umdrehte.
    »Wart', wart'!« brummte Chouteau. »Wir müssen mit ihm fettig werden, oder es bringt uns in die Klemme... Laß nicht los, Loubet!«
    Er suchte in der Tasche nach seinem Messer, einem kleinen Messerchen, dessen Klinge kaum länger als ein Finger war. Dann wälzte er sich über das Pferd, schlang einen Arm um seinen Hals und vergrub die Klinge herumwühlend in dem lebenden Fleische; ganze Stücke schnitt er heraus, bis er die Schlagader gefunden und durchgeschnitten hatte. Mit einem Satze warf er sich dann zur Seite; das Blut spritzte empor und sprudelte wie aus einem Brunnenrohr, während die Füße umherschlugen und mächtige krampfhafte Zuckungen über das ganze Fell liefen. Das Pferd brauchte fast fünf Minuten,

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