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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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um zu sterben. Seine großen, weit aufgerissenen Augen, in denen eine traurige Furcht stand, blieben fest auf die ausgemergelten Männer gerichtet, die auf seinen Tod lauerten. Dann wurden sie trübe und erloschen.
    »Mein Gott,« stammelte Pache, immer noch auf den Knien, »nimm es in deine heilige Hut...«
    Als es sich dann nicht mehr rührte, gerieten sie in große Verlegenheit, wie sie nun das beste Stück herausfinden sollten. Loubet, der in allen Sätteln Gerechte, gab ihnen wohl an, was sie tun müßten, um den Mürbebraten zu bekommen. Er war aber ein ungeschickter Schlachter und hatte auch nur das kleine Messer, so daß er sich ganz in diesem warmen, noch voll Leben zuckenden Fleische verlor. Und Lapoulle machte sich in seiner Ungeduld ganz ohne Not daran, ihm beim Offnen des Bauches zu helfen, so daß es eine scheußliche Metzelei wurde. Es gab ein wildes Hasten in dem Blut und denherumliegenden Eingeweiden, als suchten Wölfe mit vollem Rachen in dem Kadaver ihrer Beute herum.
    »Ich weiß nicht genau, welches Stück dies wohl ist,« sagte Loubet endlich und stand auf, die Arme mit einem riesigen Stück Fleisch beladen. »Aber immerhin können wir uns wohl in dies Stück bis an die Augen hineinknien.«
    Jean und Maurice hatten voller Abscheu den Kopf abgewendet. Aber der Hunger drängte sie, und sie folgten der davonrennenden Bande, um sich nicht bei dem erschlagenen Tiere fassen zu lassen. Chouteau hatte einen Fund gemacht, drei große liegengebliebene rote Rüben, die er mitgebracht hatte. Loubet hatte, um seine Arme zu entlasten, Lapoulle das Fleisch über die Schultern geworfen; Pache trug den Kessel der Korporalschaft, den sie für den Fall einer glücklichen Jagd gleich mitgebracht hatten. Und so rannten und rannten die sechs, ohne Atem zu schöpfen, als würden sie verfolgt.
    Mit einemmal hielt Loubet die andern an.
    »Das ist doch zu dumm; wir müßten doch wissen, wo wir dies kochen wollen.«
    Jean war wieder ruhig geworden und schlug die Steinbrüche vor. Die waren kaum mehr als dreihundert Meter entfernt und wiesen verborgene Löcher auf, in denen sie ungesehen ein Feuer anzünden konnten. Als sie dann aber dort waren, machten sich allerlei unvorhergesehene Schwierigkeiten geltend. Zunächst die Holzfrage; glücklicherweise entdeckten sie den Schiebekarren eines Wegearbeiters, dessen Bretter Lapoulle mit dem Hacken zertrümmerte. Dann fehlte es vollständig an Trinkwasser. Der starke Sonnenschein tagsüber hatte die kleinen natürlichen Ansammlungen von Regenwasser ausgetrocknet. Eine Pumpe war wohl da, abersie war zu weit beim Schlosse am Glaireturm, und dort hätten sie bis Mitternacht zu warten und könnten noch froh sein, wenn ein Waffengefährte ihnen in dem Gedränge nicht ihre Schüssel mit dem Ellbogen umstieße. Die paar Brunnen der Umgegend waren seit zwei Tagen versiegt, man holte nur noch Schlamm heraus. So blieb lediglich das Wasser aus der Maas, deren Böschung sich auf der andern Seite des Weges befand.
    »Ich gehe mit dem Kessel hin«, schlug Jean vor.
    Alle schrien dagegen.
    »O nein! Wir wollen uns doch nicht vergiften lassen, das ist ja voll Leichen!«
    Tatsächlich wälzte die Maas Leichen von Menschen und Pferden mit sich. Jede Minute konnte man sie mit aufgedunsenem Bauche, schon ganz grün vor Verwesung, vorübertreiben sehen. Viele blieben an den Sträuchern am Ufer hängen und verpesteten die Luft, da der Strom sie in beständiger Bewegung hielt. Fast alle Soldaten, die von diesem scheußlichen Wasser getrunken hatten, waren nachher von Erbrechen und Durchfall ergriffen worden, nachdem sie vorher fürchterliche Leibschmerzen ausgestanden hatten.
    Sie mußten sich aber doch damit begnügen. Maurice erklärte, ihnen, das Wasser würde nach dem Abkochen nicht länger gefährlich sein.
    »Na, dann gehe ich hin«, wiederholte Jean und nahm Lapoulle mit.
    Als der Kessel mit dem Wasser und dem Fleisch drin endlich auf dem Feuer stand, war es dunkle Nacht geworden. Loubet hatte die roten Rüben abgeschrappt, um sie in der Suppe mit zu kochen, eine wahre Leckerei aus der andern Welt, meinte er; und alle schürten die Flammen, indem sie Überreste des Karrensunter den Kessel schoben. Wild verzerrt tanzten ihre großen Schatten an den Wänden des Felsenloches umher. Als es ihnen indessen unmöglich wurde, länger zu warten, stürzten sie sich über die ekelhafte Suppe her und teilten sich in das Fleisch mit krampfhaft zitternden Fingern, ohne sich auch nur die Zeit zu nehmen, das

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