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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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in seiner Dickköpfigkeit eines hungrigen Bauern, der nichts fahren läßt, was ihm einmal gehört, das Brot nur fester an seine Brust.
    »Nein!«
    Da war's zu Ende. Das Viech stieß ihm das Messer mit einer solchen Wucht in die Kehle, daß der Unglückliche nicht einmal einen Schrei ausstieß. Seine Arme öffneten sich, und das Brot rollte zur Erde, wo sein Blut über es hinspritzte.
    Angesichts dieses verrückten, törichten Mordes wurde Maurice plötzlich scheinbar selbst von Wahnsinn ergriffen. Unter drohenden Gebärden behandelte er die drei Leute als Mörder, und zwar mit solcher Heftigkeit, daß sein ganzer Körper zitterte. Lapoulle schien ihn gar nicht zu hören. Vornübergebeugt saß er dicht neben dem Körper auf der Erde und verschlang das mit roten Tropfen besprenkelte Brot; in seiner wilden Stumpfheit hatte es den Anschein, als machte das mächtige Knacken seiner Kinnbacken ihn taub; Chouteau und Loubet dagegen wagten gar nicht, ihren Anteil zu fordern, als sie ihn so fürchterlich bei der Befriedigung seiner Begierde sahen.
    Inzwischen war es vollständig Nacht geworden, eine helle Nacht mit schönem Sternenhimmel; und Maurice und Jean, die ihr kleines Gehölz wiedergewonnen hatten, sahen bald nur noch Lapoulle am Maasufer umherirren. Die beiden andern waren verschwunden; sie waren zweifellos wieder an das Kanalufer zurückgekehrt, da sie sich über den Körper, den sie dort hatten liegen lassen, beunruhigt fühlten. Er dagegenschien sich im Gegenteil davor zu fürchten, wieder dorthin zu gehen und seine Genossen zu treffen. Nach der ersten Betäubung durch den Mord wurde er augenscheinlich, zumal ihn die Verdauung des dicken, zu rasch verschlungenen Stückes Brot beschwerte, von Angst befallen, so daß er nun umherirrte und nicht wagte, den Weg wieder einzuschlagen, den der Leichnam ihm versperrte, und so trabte er ohne Ende in einem vor Unentschlossenheit schwankenden Schritt auf der Böschung einher. Erwachten Gewissensbisse in der Tiefe dieses finstern Gehirns? Oder war es nicht doch mehr die Angst vor der Entdeckung? So ging er wie ein Tier hinter den Stäben seines Käfigs hin und her, in dem plötzlich entstehenden und immer zunehmenden Bedürfnis, zu fliehen, einem Zwange, der so schmerzhaft war wie eine körperliche Krankheit, und von dem er fühlte, er würde daran sterben, wenn er ihn nicht befriedigte. Im Galopp, im Galopp mußte er aus diesem Gefängnis entfliehen, in dem er jetzt eben zum Mörder geworden war. Er warf sich jedoch platt nieder und wälzte sich lange zwischen den Sträuchern am Ufer herum.
    In seinem Widerwillen sagte auch Maurice zu Jean:
    »Hör' zu, ich kann hier nicht länger bleiben. Ich versichere dich, ich werde wahnsinnig ... Ich wundere mich schon, daß mein Körper es ausgehalten hat, denn ich befinde mich eigentlich gar nicht so schlecht. Aber der Kopf geht aus dem Leim, ja wahrhaftig! Der geht aus dem Leim, ganz gewiß! Läßt du mich noch einen Tag hier in dieser Hölle, bin ich verloren ... Ich bitte dich, laß uns fliehen? laß uns sofort fliehen.«
    Und dann ging er daran, ihm die hirnverbranntesten Ausbruchspläne zu entwerfen. Sie wollten schwimmend über die Maas gehen, sich auf die Schildwachen werfen und sie miteinem Stück Bindfaden erdrosseln, das er in der Tasche hatte; oder auch, sie wollten sie mit Steinen erschlagen, oder schließlich konnten sie sie mit Geld bestechen, ihre Uniformen anziehen und so durch die preußischen Linien kommen.
    »Sei doch Still, Junge!« wiederholte Jean voller Verzweiflung. »Ich werde ganz bange, wenn ich dich solche Dummheiten reden höre. Ist das denn vernünftig, ist das denn möglich, all das? ... Morgen wollen wir mal sehen. Sei still!«
    Obwohl auch sein Herz voll Zorn und Abscheu war, bewahrte er sich doch seinen gesunden Menschenverstand, so schwach er auch vor Hunger unter all den Alpdrücken dieses, den Grund alles menschlichen Elends aufrührenden Lebens wurde. Und als sein Gefährte immer närrischer wurde und sich in die Maas werfen wollte, mußte er ihn zurückhalten, mit Anwendung von Gewalt sogar, und die Augen standen ihm voller Tränen, während er bat und schalt. Dann plötzlich:
    »Da! Sieh hin!«
    Ein Aufklatschen des Wassers ließ sich hören. Sie sahen Lapoulle, der sich entschlossen hatte, sich in den Fluß gleiten zu lassen, nachdem er sich den Rock ausgezogen hatte, damit der seine Bewegungen nicht hemmte; sein Hemd bildete einen ganz genau sichtbaren Fleck auf der dahingleitenden schwarzen

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