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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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ganz frisch war und in dem sie mit Wonne ihren Durst stillten.
    Als Jean dann vorschlug, bis zum Nachmittag hierzubleiben, machte Maurice eine wütende Bewegung.
    »Nein, nein, nicht hier! ... Ich werde krank, wenn ich das da lange vor Augen habe ...«
    Mit zitternder Hand wies er auf den weiten Rundblick, den Hattoy, die Ebenen von Illy und Floing, das Garennegehölz, all diese gräßlichen Stätten des Gemetzels und der Niederlage.
    »Gerade jetzt, als ich auf dich wartete, habe ich mich umdrehen müssen, denn sonst hätte ich vor Wut angefangen zu brüllen, jawohl! wie ein gereizter Hund zu heulen... Du kannst dir nicht vorstellen, wie elend es mich macht, geradezu verrückt!«
    Jean sah ihn voller Erstaunen über seinen blutenden Stolz an; es beunruhigte ihn, in seinen Augen von neuem diesen Ausdruck wirrer Unvernunft zu finden, die er schon einmal dann gesehen hatte. Er tat so, als machte er Spaß.
    »Schön! Das ist ja so leicht, gehen wir mal in eine andere Gegend!«
    Nun irrten sie bis zum Anbruch der Nacht umher, wo sie gerade einen Weg fanden. In der Hoffnung, dort noch einmal Kartoffeln zu finden, besuchten sie den ebenen Teil der Halbinsel; aber die Artilleristen hatten sich Karren geholt und die Felder umgewühlt und alles eingeerntet und aufgesammelt.So gingen sie ihren Weg zurück und kamen von neuem durch die abgearbeiteten, hinsterbenden Massen der ihren Hunger spazierenführenden Soldaten; ihre schlaffen Körper übersäten den Erdboden und zu Hunderten fielen sie bei dem mächtigen Sonnenschein vor Erschöpfung um. Sie selbst brachen auch alle Stunden einmal zusammen und mußten sich hinsetzen. Dann trieb eine dumpfe Verzweiflung sie wieder hoch, sie fingen wieder an herumzulungern, wie mit Nadeln geprickelt von dem Drange, der das Tier nach Nahrung suchen laßt. Es kam ihnen so vor, als dauerte das schon Monate so, und doch liefen die Minuten so rasch dahin. In dem Innern der Felder auf der Seite nach Donchery hinüber bekamen sie Angst vor den Pferden; sie mußten Schutz hinter einer Mauer suchen und blieben dort lange mit Aufgebot aller Kräfte stehen; mit irren Augen sahen sie den wahnsinnigen Galopp der Tiere an dem roten Westhimmel vorüberziehen.
    Ganz wie Maurice es vorausgesehen hatte, wurden die Tausende von Pferden, die hier mit der Truppe zusammen eingesperrt waren und nicht ernährt werden konnten, zu einer von Tag zu Tag zunehmenden Gefahr. Zuerst hatten sie Baumrinde gefressen, dann waren sie über die Zäune hergefallen, über die Einfriedigungen, über jedes Brett, das sie fanden, und jetzt fingen sie an, sich gegenseitig zu fressen. Man sah sie sich eins auf das andere stürzen, um sich Haare aus dem Schwänze zu reißen, die sie wütend herunterfraßen, während der Schaum ihnen vom Maule troff. Vor allem wurden sie des Nachts gefährlich, als ob die Dunkelheit sie mit Alpdrücken gequält hätte. Sie rotteten sich dann zusammen und stürzten sich, durch das Stroh angelockt, auf die paar Zelte. Vergeblich zündeten die Leute, um sie zu verjagen,große Feuer an; sie schienen sie nur noch mehr zu reizen. Ihr Wiehern klang so jammervoll und doch so schrecklich, daß man es für das Brüllen wilder Tiere hätte halten können. Sie wurden verjagt und kamen nur noch zahlreicher und wilder zurück. Alle Augenblicke tönte aus der Dunkelheit der langgezogene Todesschrei eines verirrten Soldaten herüber, den ihr wütender Galopp zermalmte.
    Die Sonne stand noch über dem Horizont, als Jean und Maurice auf ihrem Rückwege zum Lagerplatz zu ihrer Überraschung die vier Leute ihrer Korporalschaft in einem Graben liegend fanden; sie sahen aus, als planten sie einen bösen Streich. Loubet rief sie sofort an und Chouteau sagte:
    »Es handelt sich um das Abendessen für heute ... Wir gehen zum Teufel; seit sechsunddreißig Stunden haben wir schon nichts mehr in den Bauch gekriegt ... Und weil es hier doch nun mal soviel Pferde gibt und Pferdefleisch gar nicht übel ist...«
    »Nicht wahr, Herr Korporal, Sie machen doch mit,« fuhr Loubet fort, »denn je mehr wir sind, desto besser geht das mit so einem großen Viech. Sehen Sie, da hinten ist eins, auf das lauern wir schon über eine Stunde, der große Fuchs, der so krank aussieht. Mit dem werden wir leicht fertig.«
    Und er zeigte auf ein Pferd, das der Hunger am Rande eines Feldes mit roten Rüben niedergezwungen hatte. Es war auf die Seite gefallen und hob von Zeit zu Zeit den Kopf, worauf es die Augen mit lautem, traurigem Schnauben

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