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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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das Gestrüpp und mußte sicher entkommen, während Chouteau, her weniger geschickt war, schon nahe daran war, wieder ergriffen zu werden. Aber mit einer letztenAnstrengung kam er wieder vor und warf sich seinem Genossen zwischen die Beine, so daß dieser hinschlug; und während die beiden Preußen sich auf den am Boden liegenden Mann stürzten, um ihn festzuhalten, rettete der andere sich ins Holz und verschwand. Nun ertönten ein paar Schüsse, sie dachten an ihre Gewehre. Sie versuchten sogar zwischen den Bäumen eine Art Treibjagd, aber ganz ohne Erfolg.
    Die beiden Soldaten schlugen indessen auf den am Boden liegenden Loubet ein. Außer sich war der Hauptmann herangestürzt und sagte, er wolle es ihnen schon zeigen; und bei dieser Ermutigung regnete es derart Fußtritte und Kolbenstöße auf den Unglücklichen ein, daß ihm, als sie ihn aufhoben, ein Arm gebrochen und der Kopf aufgeschlagen war.
    Ehe sie nach Mouzon kamen, gab er auf dem kleinen Karren eines Bauern, der ihn wohl aufnehmen wollte, seinen Geist auf.
    »Siehst du?« begnügte Jean sich, Maurice ins Ohr zu flüstern.
    Mit einem Blick auf das undurchdringliche Gehölz drückten die beiden ihre Wut gegen den Lumpen aus, der jetzt frei dahinrannte; mit dem armen Teufel, seinem Opfer, empfanden sie schließlich doch Mitleid, denn wenn das Leckermaul wohl auch nicht viel wert war, er war doch ein lustiger Bruder, ein Schlaukopf, nicht uneben. Aber da sahen sie, so gerissen man sich auch anstellte, eines Tages fiel man doch herein!
    In Mouzon wurde Maurice trotz dieser schrecklichen Lehre wieder von seinem verrückten Drange nach augenblicklicher Flucht gepackt. Sie waren in einen Zustand derartiger Übermüdung verfallen, daß die Preußen den Gefangenen beim Aufschlagen der paar ihnen zur Verfügung gestellten Zelte helfen mußten. Der Lagerplatz befand sich nahe bei der Stadtauf niedrig gelegenem, sumpfigem Gelände; das Schlimmste war, daß am Tage vorher bereits ein anderer Trupp hier gelagert hatte und der Erdboden infolgedessen unter einer Dreckschicht verschwand: eine wahrhafte Kloake von unglaublicher Schmutzigkeit. Um sich zu schützen, mußten sie große flache Steine auf die Erde legen, die sie glücklicherweise nahebei entdeckten. Der Abend verlief indessen weniger hart, denn die Wachsamkeit der Preußen ließ etwas nach, seitdem der Hauptmann verschwunden war, der sich zweifellos in irgendeinem Gasthof untergebracht hatte. Zunächst duldeten die Schildwachen, daß Kinder über ihre Köpfe weg den Gefangenen Früchte zuwarfen, Apfel und Birnen. Dann ließen sie auch die Einwohner der Umgegend den Lagerplatz betreten, so daß dort bald ein ausgedehnter Handel stattfand und Männer und Frauen Brot, Wein, ja selbst Zigarren feilboten. Jeder, der Geld hatte, aß, trank und rauchte. In der bleichen Dämmerung sah das aus wie ein Winkel aus einem fremden Markte, der sich in brausender Erregung befand.
    Hinter ihrem Zelte geriet Maurice, aber aufs neue ganz außer sich und sagte immer wieder zu Jean:
    »Ich kann nicht länger, ich reiße aus, sobald die Nacht dunkel genug ist ... Morgen halten wir weiter von der Grenze ab, dann ist's zu spät.«
    »Na schön!« sagte Jean endlich, dessen Widerstandskraft zu Ende war und der selbst von dem Drange zu fliehen erfüllt war, »reißen wir aus! Wir werden ja sehen, ob wir unser Fell dabei liegenlassen.«
    Allem von nun an sah er sich die Verkäufer um sie her genauer an. Manche Kameraden hatten sich schon Blusen und Hosen besorgt, und es hieß, mitleidige Bürger hätten sich ganze Lager von Kleidern zugelegt, um den Gefangenen dasEntweichen zu erleichtern. Fast sogleich wurde seine Aufmerksamkeit durch ein schönes Mädchen auf sich gelenkt, eine große blonde Sechzehnjährige mit prachtvollen Augen, die einen Korb mit drei Broten auf dem Arme trug. Sie rief ihre Ware nicht wie die andern aus, sondern zeigte nur ein anziehendes, etwas unruhiges Lächeln und eine zaudernde Haltung. Er sah sie fest an, ihre Blicke trafen sich und blieben einen Augenblick ineinander versenkt. Dann kam sie mit etwas verlegenem Lächeln näher, dem Lächeln eines schönen Mädchens, das sich anbietet.
    »Möchten Sie Brot haben?«
    Er antwortete nicht, sondern fragte sie durch ein kaum sichtbares Zeichen. Als sie dann mit dem Kopfe eine Bejahung andeutete, wagte er eine ganz leise Frage.
    »Haben Sie Anzüge?«
    »Ja, unter den Broten.«
    Und dann rief sie entschlossen ihre Waren ganz laut aus: »Brot, Brot! Wer kauft Brot?«

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