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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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und der Kuß, den sie jetzt austauschten, schien ihnen der süßeste und kräftigste ihres ganzen Lebens, ein Kuß, wie sie ihn von einer Frau niemals bekommen würden, der Kuß unsterblicher Freundschaft, unbedingter Gewißheit, baß ihre Herzen von nun an bis in alle Ewigkeit eins wären.
    »Ach, Junge,« sing Jean mit zitternder Stimme wieder an, nachdem sie sich losgemacht hatten, »es ist ja schon so gut, hier zu sein, aber wir sind doch noch nicht durch ... Müssen uns mal zurechtfinden.«
    Obwohl Maurice diese Stelle der Grenze nicht kannte, schwur er doch, sie brauchten nur geradeaus zu gehen. So glitten sie also, einer hinter dem andern, vorsichtig bis an den Waldrand weiter. Dort fiel ihnen die Angabe des freundlichen Bürgers ein, und sie wollten sich nach links wenden, um über die Stoppelfelder zu gelangen. Als sie aber an eine von Pappeln eingefaßte Straße kamen, bemerkten sie das Feuer eines preußischen Postens, der ihnen den Weg versperrte. Das Bajonett der Schildwache funkelte, die Leute waren gerade mit ihrer Suppe fertig und plauderten. So mußten sie also zurück und warfen sich wieder in das dickste Gehölz aus Furcht, sie würden verfolgt. Sie glaubten Stimmen und Schritte zu hören und schlugen sich so ungefähr eine Stunde lang in dem Dickicht herum, so daß sie jede Richtung verloren und sich um sich selber drehten, manchmal im Galopp wiedurchs Gestrüpp fliehende Tiere, manchmal wieder unbeweglich, vor Angst schwitzend, wenn sie unbeweglich dastehende Eichen für Preußen hielten. Endlich kamen sie von neuem auf den von Pappeln eingefaßten Weg, zehn Schritt von der Schildwache, dicht bei den Soldaten, die sich ganz ruhig wärmten.
    »Keine Möglichkeit!« stöhnte Maurice. »Das Holz ist verhext.«
    Diesmal aber hatte man sie gehört. Zweige hatten geknackt. Steine waren ins Rollen geraten. Und als sie auf das Halt! der Schildwache zu rennen anfingen, ohne zu antworten, griff der Posten zu den Waffen, Schüsse tönten hinter ihnen her und durchstreuten das Gehölz mit Kugeln.
    »Herrgott!« fluchte Jean plötzlich dumpf und hielt einen Schmerzensschrei zurück.
    An der linken Wade empfand er etwas wie einen so heftigen Peitschenhieb, so daß er davon gegen einen Baum geschleudert wurde.
    »Getroffen?« fragte Maurice besorgt.
    »Ja, das Bein, nun sind wir futsch!«
    Noch atmend, horchten beide um sich in der Furcht, den Lärm der Verfolgung immer noch auf ihren Hacken zu hören. Aber das Schießen hatte aufgehört und es regte sich nichts in dem großen, schaudernden Schweigen, das sie wieder aufgenommen hatte. Der Posten traute sich augenscheinlich zwischen den Bäumen nicht weiter vor.
    Jean gab sich Mühe, sich aufrechtzuhalten, und mußte einen Schrei unterdrücken. Und Maurice hielt ihn aufrecht.
    »Kannst du nicht mehr laufen?«
    »Ich glaube wirklich nicht!«
    Trotz seiner Ruhe kam ein mächtiger Zorn über ihn. Er ballte die Fäuste und hätte sich prügeln mögen.
    »Ach! Herrgott nochmal! Herrgott nochmal! Ist das ein Pech! Sich die Pfoten zerquetschen zu lassen, wenn man sie so nötig hat zum Laufen! Wahrhaftig, man sollte sich selbst auf den Misthaufen werfen! ... Reiß' du nur allein aus!«
    Maurice begnügte sich damit, ganz vergnügt zu antworten:
    »Bist du dämlich!«
    Er hatte ihn beim Arme genommen und half ihm, denn sie wollten beide schleunigst weiter. Nach ein paar mühsam mit heldenhafter Anstrengung gemachten Schritten mußten sie abermals voller Unruhe stehenbleiben, als sie vor sich ein Haus, eine Art kleinen Hofes, am Waldrande bemerkten. Kein Licht drang aus den Fenstern, das Hoftor stand weit offen vor dem dunklen leeren Gebäude. Und als sie schließlich den Mut fanden, in den Hof vorzudringen, da sahen sie dort zu ihrer Verwunderung ein fertig gesatteltes Pferd ohne irgendwelches Anzeichen, wie oder warum es dorthin käme. Vielleicht würde sein Herr wiederkommen, vielleicht lag er mit durchschossenem Kopfe hinter irgendeinem Busche. Das würden sie nie erfahren.
    Aber in Maurice stieg plötzlich ein Plan auf, über den er höchst erfreut war.
    »Hör' mal, die Grenze ist zu weit, und außerdem müßten wir unbedingt einen Führer haben ... Wenn wir dagegen nach Remilly zum Ohm Fouchard gingen, da kann ich dich sicher mit verbundenen Augen hinbringen, so genau kenne ich auch die kleinsten Schleichwege ... Was? Das ist noch ein Gedanke, ich werde dich auf das Pferd setzen, und Ohm Fouchard wird uns immerhin schon aufnehmen.«
    Zuerst aber wollte er das Bein

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