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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Aber als Maurice ihr zwanzig Francs zustecken wollte, entzog sie sich ihm mit einer raschen Bewegung und ließ ihren Korb vor ihnen stehen. Sie sahen indessen noch, wie sie sich zurückwandte und ihre braunen Augen ihnen voll zärtlicher Rührung zulächelten.
    Nun sie den Korb hatten, verfielen Jean und Maurice in höchste Verlegenheit. Sie hatten sich von ihrem Zelt entfernt und konnten es unmöglich wiederfinden, so sehr hatten sie sich verirrt. Wo sollten sie hin? Wie die Kleider wechseln? Es kam ihnen so vor, als ob alle Welt den Korb, den Jean so linkisch am Arme trug, mit den Augen prüfte und den Inhalt ganz genau durchschaute. Endlich traten sie kurz entschlossen in das erste beste leere Zelt ein, wo sie sich jeder in eine Bluse und Hose stürzten und ihre Uniformsachen vorher unter dieBrote steckten. Das alles ließen sie dann im Stich. Sie hatten aber nur eine wollene Mütze gefunden, und Jean zwang Maurice, sie aufzusetzen. Da ei selbst einen bloßen Kopf behalten mußte, hielt er die Gefahr für viel größer, als sie wirklich war, und sah sich schon verloren. So blieb er zurück und suchte nach irgendeiner Kopfbedeckung, bis ihm plötzlich der Gedanke kam, einem alten, sehr schmutzigen Manne, der Zigarren verkaufte, seinen Hut abzukaufen.
    »Drei Sous das Stück, zwei für fünf Sous, die Brüsseler Zigarren!«
    Seit der Schlacht bei Sedan gab es keinen Zoll mehr; ganz frei lief der Strom aus Belgien über die Grenze; und der alte zerlumpte Kerl hatte schon schöne Gewinne eingeheimst, was ihn aber nicht hinderte, eine mächtige Forderung zu stellen, als er begriff, wozu man ihm seinen alten Hut abkaufen wollte, einen alten fettigen, an manchen Stellen durchlöcherten Filz. Er gab ihn nur gegen zwei Fünffrancsstücke her und tat so, als ob er sich nun sicher erkälten müßte.
    Jean kam übrigens noch ein weiterer Gedanke, nämlich der, ihm seinen ganzen Warenvorrat gleichfalls abzukaufen, die drei Dutzend Zigarren, die er noch mit herumschleppte. Und ohne weiter zu warten, schrie er sogleich, den eingetriebenen Hut über die Augen gedrückt, mit müder Stimme:
    »Drei Sous zwei Stück, drei Sous zwei Stück, die Brüsseler Zigarren!«
    Das wurde ihnen zur Rettung. Er gab Maurice ein Zeichen, voranzugehen. Der hatte das Glück, einen alten Regenschirm auf der Erde zu finden; und da einige Tropfen zu fallen begannen, spannte er ihn ruhig auf, um so durch die Postenkette zu kommen.
    »Drei Sous zwei Stück, drei Sous zwei Stück, die Brüsseler Zigarren!«
    In ein paar Minuten war Jean seine Ware los. Alles drängte lachend auf ihn ein: das war noch mal ein vernünftiger Kerl, der arme Leute nicht bestahl! Durch die billigen Preise angelockt, kamen auch Preußen heran, und er mußte auch mit ihnen handeln. Auf diese Weise brachte er es fertig, durch den Gürtel der Wachen zu kommen; seine letzten zwei Zigarren verkaufte er einem bärtigen Sergeanten, der kein Wort Französisch sprach.
    »Geh' doch nicht so schnell. Gottsverdammt!« wiederholte Jean immer wieder hinter Maurices Rücken. »Du bringst es noch dazu, daß sie uns wieder fangen.«
    Aber wider ihren Willen liefen ihre Beine mit ihnen davon. Es kostete sie eine mächtige Überwindung, an der Trennung der beiden Wege einen Augenblick unter den Gruppen stehenzubleiben, die dort vor einer Kneipe standen. Dort plauderten ein paar Bürger ganz friedlich mit deutschen Soldaten; und sie taten so, als hörten sie zu, wagten sogar selbst ein paar Worte darüber einzuwerfen, daß der Regen doch wohl während der Nacht wieder anfangen würde. Ein Mann, ein fetter Herr, der sie unverwandt ansah, machte sie zittern. Aber als er sie dann ganz gutmütig anlächelte, wagten sie sich ganz leise an ihn heran.
    »Mein Herr, ist der Weg nach Belgien überwacht?«
    »Ja, aber gehen Sie nur zuerst durch dies Gehölz und halten Sie sich dann links querfeldein.«
    In dem Holz, als sie in dem großen, dunklen Schweigen der unbeweglichen Bäume nichts mehr hörten, als sich nichts mehr rührte und sie sich gerettet glaubten, da warf eine ungewöhnliche Rührung sie sich plötzlich gegenseitig in die Arme.
    Maurice weinte unter heftigem Schluchzen, während Jean nur langsam die Tränen über die Backen rannen. Das war die Abspannung nach ihrer langen Qual, die Freude, sich sagen zu können, ihr Leid sei schließlich doch zu etwas gut gewesen. So umschlossen sie sich in einer heftigen Umarmung, in der Brüderlichkeit, zu der all ihre gemeinsamen Leiden sie geführt hatten;

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