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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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untersuchen. Es wies zwei Löcher auf; die Kugel mußte wieder ausgetreten sein, nachdem sie das Schienbein zerbrochen hatte. Das Blut floß nurspärlich, und so begnügte er sich damit, die Wade mit seinem Taschentuche zu verbinden.
    »Geh' du doch alleine los!« sagte Jean wieder.
    »Sei still, Dummkopf!«
    Als Jean sicher im Sattel saß, faßte Maurice die Zügel des Pferdes, und es ging los. Es mußte ungefähr elf Uhr sein, und er rechnete darauf, den Weg in drei Stunden zu machen, selbst wenn sie nur im Schritt gingen. Einen Augenblick versetzte ihn der Gedanke an eine unvorhergesehene Schwierigkeit in Verzweiflung: wie sollten sie über die Maas kommen, um auf das linke Ufer zu gelangen? Die Brücke in Mouzon war zweifellos bewacht. Endlich erinnerte er sich an eine weiter stromab bei Villers gelegene Fähre; und auf gut Glück, in dem festen Glauben, das Schicksal werde ihnen endlich doch wohl hold sein, setzte er sich über die Wiesen und Äcker des rechten Ufers auf diesen Ort zu in Bewegung.
    Alles ließ sich zunächst sehr günstig an; sie brauchten nur einem Kavalleriestreiftrupp auszuweichen und hielten eine Viertelstunde unbeweglich im Schatten einer Mauer. Es hatte wieder zu regnen begonnen, und der Marsch wurde für ihn sehr beschwerlich, da er neben dem Pferd her über den durchweichten Erdboden laufen mußte; aber das Pferd war glücklicherweise ein braver, sehr gelehriger Kerl. In Villers war das Glück tatsächlich mit ihnen: die Fähre hatte gerade um diese Nachtzeit einen bayrischen Offizier übergesetzt und konnte sie sofort aufnehmen und ohne Zwischenfall am andern Ufer absetzen. Eigentliche Gefahren, die schlimmsten Abspannungen, begannen erst im Dorfe selbst, wo sie fast in den Händen der am ganzen Wege nach Remilly entlang gestaffelten Wachen geblieben wären. Von neuem warfen sie sich also in die Felder und suchten, so gut es ging, kleineHohlwege und enge, kaum betretene Pfade. Die geringsten Hindernisse zwangen sie zu gewaltigen Umwegen. Sie mußten durch Hecken und Gräben und bahnten sich einen Weg durch undurchdringliches Dickicht. Jean wurde bei dem feinen Regen vom Fieber gepackt und hatte sich halb über den Sattel gelegt; er war halb ohnmächtig und krampfte seine Hände in die Mähne des Pferdes. Maurice, der sich den Zügel um den rechten Arm geschlungen hatte, mußte ihm die Beine festhalten, damit er nicht herunterrutschte. Über eine Meile hin, während noch fast zwei Stunden, zog sich der Marsch so unter fortwährendem Stolpern und plötzlichem Ausrutschen in die Länge; sie verloren alle Augenblicke derart das Gleichgewicht, daß das Tier und die beiden Männer sich fast überschlugen. Sie bildeten einen höchst jämmerlichen Zug, schmutzbedeckt, das Pferd auf den Beinen zitternd, der Mann, den es trug, schlaff als ob er seinen letzten Seufzer aushauchen wollte, der andere zerstört, scheu, nur noch mit äußerster Anspannung brüderlichen Mitleids weiterlaufend. Der Tag brach an; es mochte fünf Uhr sein, als sie Remilly erreichten.
    Mitten auf dem oberhalb des Ortes am Ausgange des Passes von Haraucourt gelegenen Hofe seines Anwesens lud Vater Fouchard gerade zwei am Tage vorher geschlachtete Hammel auf seinen Karren. Der Anblick seines Neffen in so trauriger Verfassung brachte ihn dermaßen außer Fassung, daß er nach den ersten Erklärungen wütend schrie:
    Ich soll euch hierbehalten, dich und deinen Freund?... Um Geschichten mit den Preußen zu kriegen, ach nein, weißt du! Lieber will ich sofort verrecken!«
    Er wagte es indessen doch nicht, Maurice zu hindern, daß er Jean vom Pferde half und ihn auf den großen Küchentischlegte. Silvine lief schleunigst nach ihrem eigenen Kopfkissen, das sie dem immer noch ohnmächtigen Verwundeten unter den Kopf schob. Aber der Alte schimpfte und war wütend darüber, den Mann da auf seinem Tische zu sehen; er behauptete, es ginge ihm sehr schlecht, und fragte, warum sie ihn nicht sofort ins Lazarett brächten; es gäbe da glücklicherweise eins in Remilly, dicht bei der Kirche in einem alten Schulhause, dem Überbleibsel eines Klosters, in dem sich ein großer, sehr bequemer Saal befände.
    »Ins Lazarett!« schrie Maurice dagegen, »damit die Preußen ihn, wenn er wieder heil ist, nach Deutschland schicken; denn jeder Verwundete gehört ihnen doch! ... Wollt Ihr Euch über uns lustig machen, Ohm? Ich habe ihn doch nicht hierher gebracht, um ihn ihnen wieder auszuliefern!«
    Die Geschichte wurde immer schlimmer; der Ohm sprach

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