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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Verzweiflung,daß er doch nichts zu kaufen bekam. Da sah Jean, der schon immer ausspähte, von weitem vor einer Bäckerei einen Haufen Brote liegen. Sofort warf er vor allen andern seine fünf Francs hin und wollte zwei Brote dafür mitnehmen. Als aber der Preuße, der ihm am nächsten stand, ihn roh zurückstieß, setzte er seinen Kopf auf und wollte wenigstens sein Geld wieder haben. Aber der Hauptmann, dem die Überwachung des Trupps übertragen war, ein kleiner Kahlkopf mit frechem Gesicht, kam schon heran. Er hob seinen Revolverkolben gegen Jean und schwur, er werde dem ersten, der sich zu rühren wagte, den Schädel zerschmettern. Und da ließen sie alle die Schultern hängen, sie senkten die Köpfe und setzten ihren Marsch mit dem dumpfen Getrappel ihrer Füße fort, zitternd und unterwürfig wie eine Herde.
    »Oh, den da mal ohrfeigen zu können!« murmelte Maurice in seiner Wut hitzig, »ohrfeigen, die Zähne mit der Faust einschlagen!«
    Der Anblick dieses Hauptmannes mit seinem Ohrfeigengesicht wurde ihm ganz unerträglich. Sie kamen übrigens schon nach Sedan hinein und gingen über die Maasbrücke; und immer wieder spielten sich rohe Vorgänge ab und häuften sich. Eine Frau, eine Mutter zweifellos, die einen blutjungen Sergeanten umarmen wollte, wurde mit einem so heftigen Kolbenstoß beiseite gestoßen, daß sie zu Boden fiel. Auf dem Turenneplatz wurden Bürger beiseite geschubst, weil sie den Gefangenen Mundvorräte zuwarfen. Auf der Großen Straße wurde einer, der einem Soldaten eine Flasche Wein zusteckte, die eine Dame ihm hinhielt, mit Fußtritten weggejagt. Sedan, das seit acht Tagen das Schlachtvieh der Niederlage so unter der Fuchtel dahintreiben sah, konnte sich an diesen Anblick nicht gewöhnen; es geriet bei jedem Vorbeimarschaufs neue in ein Fieber dumpfen Mitleides und Widerwillens.
    Indessen auch Jean dachte an Henriette; und plötzlich kam ihm Delaherche in den Sinn. Er stieß seinen Freund mit dem Ellbogen an.
    »Na? Nun paß jetzt mal scharf auf, wenn wir durch die Straße da kommen!«
    Und richtig bemerkten sie, sowie sie in die Rue Macqua einbogen, wie sich aus einem der prächtigen Fenster der Fabrik mehrere Köpfe herausbogen. Dann erkannten sie Delaherche und seine Frau Gilberte, die sich mit den Ellbogen aufstützten, und hinter ihnen stand die hohe, ernste Gestalt Frau Delaherches ... Sie hatten Brote, die der Fabrikant den Verhungerten in die zitternden, flehend emporgestreckten Hände warf.
    Maurice hatte sofort bemerkt, daß seine Schwester nicht bei ihnen war; Jean dagegen fürchtete, als er die Brote durch die Luft fliegen sah, daß für sie keins übrigbleiben möchte. Er schwenkte die Arme und schrie:
    »Uns auch! Uns auch!«
    Das löste bei den Delaherches eine beinahe frohe Überraschung aus. Ihre vor Mitleid ganz bleichen Gesichter hellten sich auf, während sie durch Gebärden ihre Freude über dies Wiedersehen ausdrückten. Gilberte bestand darauf, das letzte Brot selbst in Jeans Arme zu werfen, und tat das mit einem so allerliebsten Ungeschick, daß sie selbst darüber in Lachen ausbrach.
    Da sie nicht stehen bleiben konnten, drehte Maurice sich um und fragte mit lauter Stimme, aus der seine Unruhe herausklang:
    »Und Henriette? Henriette?«
    Delaherche antwortete darauf mit einem langen Satz. Aber seine Stimme ging in dem Getrappel der Füße unter. Er mußte wohl begreifen, daß der junge Mann ihn nicht verstanden hatte, denn er wiederholte seine Zeichen fortwährend, unter denen ein weit weg gegen Süden gerichtetes immer wieder vorkam. Die Abteilung bog bereits in die Rue du Ménil ein; sie verloren die Fabrik mit den drei aus dem Fenster gebeugten Köpfen aus den Augen, während eine Hand noch ein Taschentuch schwenkte.
    »Was sagte er?« fragte Jean.
    Maurice blickte gequält noch einmal vergeblich nach rückwärts.
    »Ich weiß nicht, ich hab's nicht verstanden ... Da sitze ich nun in Unruhe, bis ich Nachrichten habe.«
    Das Getrappel dauerte an, die Preußen beschleunigten sogar den Marsch mit der Roheit des Siegers; der Trupp verließ Sedan durch das Tor von Ménil, zu einem langen dahinrennenden Faden auseinandergezogen, der sich abjagte, als würde er mit Hunden gehetzt.
    Als sie durch Bazeilles kamen, mußten Jean und Maurice an Weiß denken und suchten den Aschenhaufen des kleinen, so tapfer verteidigten Hauses. Man hatte ihnen im Jammerlager von der Plünderung des Ortes erzählt, von der Feuersbrunst und dem Gemetzel; aber was sie jetzt sahen,

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