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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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überstieg alles, was sie an Scheußlichkeiten im Traume gesehen hatten. Nach zwölf Tagen rauchte der Trümmerhaufen noch. Zerbröckelnde Mauern waren vollends niedergestürzt, keine zehn Häuser standen mehr unversehrt. Was sie aber ein wenig tröstete, war, daß sie Karren voller nach dem Kampfe aufgesammelter bayrischer Gewehre und Helme trafen. Dieser Beweis für den Untergang mancher der Mörder und Brandstifter tröstete sie.
    In Douzy wurde lange Rast gemacht, damit die Leute frühstücken konnten. Aber auch das ging nicht ohne Leiden ab. Die Gefangenen wurden sehr schnell müde, da sie durch ihr Fasten entkräftet waren. Die, die sich gestern mit Essen vollgestopft hatten, bekamen Schwindel und fühlten sich schwer, die Beine wie zerbrochen; denn anstatt ihren verlorenen Kräften wieder aufzuhelfen, hatte diese Fresserei sie nur noch mehr geschwächt. Als sie daher links vom Orte auf einer Wiese hielten, ließen diese Unglücklichen sich ins Gras fallen, ohne auch nur den Mut zu finden, zu essen. Es fehlte an Wein; barmherzige Frauen, die ihnen welchen bringen wollten, wurden von den Posten weggejagt. Eine von ihnen wurde derart von Furcht ergriffen, daß sie hinfiel und sich den Fuß verrenkte; es kam unter Schreien und Tränen zu einem widerwärtigen Vorgange, währenddessen die Preußen die Flaschen beschlagnahmten und austranken. Das mitleidige Zartgefühl der Bauern gegen die in die Gefangenschaft fortgeführten Soldaten zeigte sich bei jedem Schritt, während es hieß, gegen die Generale wären sie von wilder Roheit. Gerade in Douzy hatten die Einwohner ein paar Tage vorher eine Anzahl Generale, die sich auf Ehrenwort nach Pont-à-Mousson begaben, mit Hohnreden überhäuft. Die Wege waren für Offiziere nicht sicher: Blusenmänner, entwichene Soldaten, auch wohl Fahnenflüchtige sprangen mit Mistgabeln auf sie los, um sie als Feiglinge und Verkaufte umzubringen, da sie unter dem Eindrucke der Sage von ihrem Verrate standen, die noch nach zwanzig Jahren jeden Führer, der das Epaulett getragen hatte, der allgemeinen Verachtung des Landes preisgab.
    Maurice und Jean aßen die Hälfte ihres Brotes und konnten es sogar mit ein paar Tropfen Branntwein anfeuchten,da es einem braven Pächter gelang, ihnen ihre Feldflasche zu füllen. Am schlimmsten aber wurde es danach, als sie sich wieder auf den Weg machen sollten. In Mouzon sollten sie übernachten, und obwohl der Tagemarsch tatsächlich nur kurz war, kam es ihnen doch übermäßig anstrengend vor. Die Leute konnten nicht wieder aufstehen, ohne zu schreien, so steif wurden ihnen die Gliedmaßen von der geringsten Ruhepause. Vielen bluteten die Füße, und sie zogen die Schuhe aus, um weitergehen zu können. Die Dysenterie wütete immer noch; bereits nach einem Kilometer fiel einer davon um, den sie gegen eine Böschung legen mußten. Zwei andere brachen etwas weiter am Fuße einer Hecke zusammen, wo eine alte Frau sie erst am Abend wieder auflas. Alle schwankten sie und stützten sich auf Stöcke, die sie sich mit Erlaubnis der Preußen, vielleicht zum Spott, am Rande eines kleinen Gehölzes schneiden durften. Sie waren nur noch ein Zug hageren, atemlosen, mit Wunden bedeckten Lumpengesindels. Die Gewalttätigkeiten erneuerten sich; wer beiseite ging, und wenn es auch nur zur Befriedigung eines natürlichen Bedürfnisses war, wurde mit Stockhieben wieder herangetrieben. Die Abteilung, die den Schluß bildete, hatte Befehl, Nachzügler mit Bajonettstößen ins Kreuz vorwärts zu treiben. Als ein Sergeant sich weigerte, weiterzugehen, befahl der Hauptmann zwei Leuten, ihn unter die Arme zu fassen und weiterzuschleppen, bis der Unglückliche einwilligte, allein weiterzugehen. Das Ohrfeigengesicht dieses kleinen, kahlköpfigen Offiziers war allein schon eine Strafe, und er mißbrauchte seine Fähigkeit, sehr gut Französisch zu sprechen, dazu, die Gefangenen in ihrer eigenen Sprache mit Beleidigungen zu überhäufen, in trockenen Redensarten, schneidend wie die Hiebe einer Reitpeitsche.
    »Oh!« wiederholte Maurice immer wieder voller Wut, »den da zu halten und ihm das Blut tropfenweise abzuziehen!«
    Er war am Ende seiner Kräfte, kränker durch verbissenen Zorn als durch Erschöpfung. Alles brachte ihn auf bis zu den scharfen Klängen der preußischen Trompeten, die ihn bei seiner körperlichen Entkräftung fast wie ein Tier zum Heulen brachten. Niemals würde er ans Ende dieser grausamen Reise gelangen, ohne sich vorher den Schädel einschlagen zu lassen.

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