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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Prosper sich mit der Bestellung draußen beschäftigte.
    Trotz der scheußlichen Zeiten war ein Knecht mehr gar nicht zuviel für Vater Fouchard, denn sein Geschäft ging ausgezeichnet. Wählend das ganze Land an allen vier Gliedern zur Ader gelassen röchelte, fand er Mittel und Wege, sein Gewerbe als herumziehender Schlachter derartig zu erweitern, daß er jetzt das Drei- und Vierfache an Tieren schlachtete. Man erzählte sich, er habe seit dem 31. August großartige Verkäufe mit den Preußen abgeschlossen. Er, der noch am 30. seine Tür gegen die Soldaten des siebenten Korps mit der Flinte in der Hand verteidigt hatte, ihnen kein Laib Brot hatte geben wollen und ihnen zurief, sein Haus sei leer, hatte sich beim Erscheinen des ersten feindlichen Soldaten am 31. als ein Händler für alles aufgetan, hatte fabelhafte Fleischvorräte,ganze Herden aus seinem Keller ausgegraben und aus unbekannten Löchern hervorgeholt, wo er sie versteckt gehalten hatte. Und seit dem Tage besaß er eine der größten Fleischlieferungen für die deutschen Heere, und alles war erstaunt über die Geschicklichkeit, mit der er seine Ware unterbrachte und sie sich zwischen zwei Beschlagnahmen bezahlen ließ. Andere hatten unter den manchmal rohen Anforderungen der Sieger zu leiden: er hatte noch nicht einen Scheffel Mehl abgeliefert oder einen Hektoliter Wein oder ein Viertel Ochsen, ohne sofort schöne, klingende Münze dafür zu bekommen. Man klatschte darüber wohl in Remilly und fand es gemein von jemand, der gerade seinen einzigen Sohn im Kriege verloren hatte; übrigens besuchte er das Grab nie, und Silvine unterhielt es ganz allein. Aber schließlich achteten sie es doch, daß er reich zu werden verstände, während die größten Schlauköpfe ihr Fell lassen mußten. Aber er zuckte schlau die Achseln und brummte breitschultrig und dickfellig:
    »Vaterlandsfreund, Vaterlandsfreund, ich bin ein besserer als sie!... Ist denn das vielleicht Vaterlandsliebe, die Preußen für nichts und wieder nichts vollzustopfen? Ich lasse sie doch ordentlich bezahlen... Wir werden schon sehen, wir werden später schon sehen!«
    Schon am zweiten Tag stand Jean zu lange herum, und die heimlichen Befürchtungen des Doktors bewahrheiteten sich: die Wunde brach wieder auf, das Bein entzündete sich ganz erheblich und er mußte sich wieder zu Bett legen. Dalichamp kam schließlich auf das Vorhandensein eines Knochensplitters, den die Anstrengungen der beiden Tage vollends abgerissen hatten. Er suchte ihn und war so glücklich, ihn herauszubekommen. Aber das ging nicht ohne neue Erschütterungen mit heftigem Fieber ab, das Jean abermalssehr herunterbrachte. Noch nie vorher war er in einen derartigen Schwächezustand verfallen. Und Henriette nahm ihren Platz als treue Pflegerin in der Kammer wieder auf, die der Winter nun mit seiner Kälte noch trauriger erscheinen ließ. Es war jetzt in den ersten Novembertagen; der Wind hatte bereits einen Schneesturm herangefegt, und es war auf den Fliesen innerhalb der vier kahlen Wände bitterkalt. Da kein Kamin vorhanden war, entschlossen sie sich, einen kleinen Ofen aufzustellen, der ihre Einsamkeit mit seinem Bollern etwas erheiterte.
    Eintönig liefen die Tage dahin, und diese erste Woche seines Rückfalles war sicher für Jean und für Henriette auch die düsterste ihrer langen, erzwungenen Vertraulichkeit. Sollte denn sein Leiden gar kein Ende nehmen? Sollten immer wieder neue Gefahren auftreten und sie auf gar kein Ende all dieses Elendes hoffen können? Alle Augenblicke flogen ihre Gedanken zu Maurice, von dem sie nichts mehr hörten. Sie erfuhren wohl, andere bekämen Briefe, winzige, von Brieftauben überbrachte Briefchen. Zweifellos hatte der Schuß eines Deutschen gerade die Taube auf ihrem Fluge getötet, die ihnen ihre Freude und Liebe durch den weiten, freien Himmel zutrug. Alles schien vor dem vorzeitigen Winter zurückzuweichen, zu verlöschen und zu vergehen. Der Lärm des Krieges gelangte nur mit bedeutenden Verzögerungen zu ihnen; die spärlichen Zeitungen, die Doktor Dalichamp ihnen noch hin und wieder mitbrachte, waren manchmal eine Woche alt. Und so rührte ihre Traurigkeit besonders von ihrer Unwissenheit her, von dem, was sie nicht wußten, und dem, was sie ahnten, denn trotz allem hörten sie durch die schweigende Landschaft einen langgezogenen Todesschrei um den Hof herumziehen.
    Eines Morgens kam der Doktor ganz aufgelöst, mit zitternden Händen zu ihnen. Er zog eine belgische Zeitung aus der

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