Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
schlimmen in Rognes zugebrachten Jahre, das Unglück seiner Ehe, der gewaltsame Tod seiner Frau, seine ganze Vergangenheit wurde mit einem zarten Bedauern wieder lebendig in ihm, in einer unbestimmten, kaum ausgesprochenen Hoffnung, als sollte er sein Glück noch einmal versuchen. Er schloß die Augen und ließ sich vom Halbschlaf umfangen, und dann sah er sich ganz verworren in Remilly wieder, aufs neue verheiratet, als Besitzer von so viel Land, wie zur Befriedigung eines Haushaltes von tüchtigen, aber nicht ehrgeizigen Leuten genügte. Das war so leicht, daß es gar keinen Bestand hatte, niemals bestehen konnte. Er hielt sich nur noch der Freundschaft fähig; er klebte Henriette, weil er ja doch Maurices Bruder war. Aber schließlich wurde dieser undeutliche Traum einer Ehe doch zu einem großen Trost für ihn, eine dieser Einbildungen, von denen man weiß, sie sind nicht zu verwirklichen, und doch tun sie einem in traurigen Stunden so wohl.
    Henriette hatte dagegen noch keinen Hauch von etwas Derartigem verspürt. Ihr Herz war am Tage des schrecklichenVorganges in Bazeilles gemordet; und wenn ein Trost, eine neue Zuneigung sie überkam, so mußte das geschehen sein, ohne daß sie es bestimmt empfand: es war das eine jener verborgenen Wanderungen des sprossenden Samenkorns, dessen verborgene Arbeit nichts dem Blicke enthüllt. Sie wußte gar nicht, was für ein Vergnügen sie dabei empfand, stundenlang an Jeans Bett zu sitzen und ihm aus den Zeitungen vorzulesen, obwohl sie ihnen doch stets nur neuen Kummer bereiteten. Nie wurde ihre Hand, wenn sie die seinige zufällig berührte, auch nur warm; nie hatte der Gedanke an das Morgen sie in Träume gewiegt und sie wünschen lassen, wieder geliebt zu werden. Aber sie übersah nicht, daß sie sich doch nur in dieser Kammer getröstet fühlte. Wenn sie sich hier befand, wenn ihr sanfter Tätigkeitsdrang sie hier beschäftigte, dann wurde ihr Herz ruhig und es schien ihr, als müßte ihr Bruder demnächst wiederkommen, alles würde gut ausgehen, sie würden schließlich glücklich werden und sich nie wieder verlassen. Und sie sprach hierüber ohne jede Verwirrtheit, so natürlich schienen ihr diese Sachen, ohne daß es ihr bei der keuschen und unbewußten Hingabe ihres ganzen Herzens in den Sinn gekommen wäre, sich tiefer zu befragen.
    Als sie sich aber eines Nachmittags nach dem Lazarett begab, wurde ihr Herz vor Schrecken zu Eis, als sie in der Küche einen preußischen Hauptmann und zwei andere Offiziere bemerkte, und nun begriff sie, eine wie große Zuneigung sie zu Jean empfand. Diese Leute hatten augenscheinlich von der Anwesenheit des Verwundeten auf dem Hofe gehört und waren gekommen, um ihn festzunehmen; das bedeutete, sein Fortgehen, seine Gefangenschaft in Deutschland, tief in irgendeiner Festung, waren unvermeidlich. Sie hörte zitternd zu, und ihr Herz schlug mächtig.Der Hauptmann, ein dicker Mann, der französisch sprach, überhäufte Vater Fouchard mit Vorwürfen.
    »Das kann so nicht weitergehen, Sie machen sich über uns lustig. Ich bin selbst gekommen, um Ihnen anzukündigen, daß, wenn der Fall noch einmal vorkommt, ich Sie zur Rechenschaft ziehen werde, jawohl! Und ich werde meine Maßregeln zu treffen wissen!«
    Ganz ruhig, mit herabhängenden Händen heuchelte der Alte Erstaunen, als hätte er nichts begriffen. »Wieso denn, Herr, wieso denn?«
    »Ach! Heulen Sie mir nicht die Ohren voll, Sie wissen ganz genau, die drei Kühe, die Sie mir Sonntag verkauft haben, waren verfault, vollständig verfault, krank, an irgendeiner ansteckenden Krankheit gestorben, denn sie haben meine Leute vergiftet, und jetzt werden wohl schon zwei von ihnen tot sein.«
    Nun spielte Vater Fouchard den Unwilligen, Ärgerlichen.
    »Verfault! Meine Kühe! So schönes Fleisch, das könnte man einer Wöchnerin geben, um sie wieder zu Kräften zu bringen!«
    Und dann jammerte er und schlug sich an die Brust und schrie, er wäre ein ehrlicher Mann und wollte sich lieber was von seinem eigenen Fleisch abhacken, als schlechtes verkaufen. Seit dreißig Jahren kennte ihn jedermann, und niemand könne von ihm sagen, daß er nicht gutes Gewicht führe und gute Ware.
    »Sie waren gesund wie mein Augapfel, Herr, und wenn Ihre Soldaten Durchfall haben, dann haben sie zuviel gegessen; wenn nicht gar schlechte Kerls ihnen was in den Kessel geschüttet haben ...«
    So betäubte er den Hauptmann mit einem derartigenWortschwall und so lächerlichen Vermutungen, daß dieser schließlich

Weitere Kostenlose Bücher